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Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Titel: Das Gegenteil von Schokolade - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirijam Muentefering
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Badtür hinter sich geschlossen hat, klingelt mein Telefon, und ich stürze hin.
    »Ja?«
    »Hi, ich bins.« Lothar. »Ich komm grad mit Michelin rein, und wir haben deinen Anruf auf dem Band gehört. Du klingst, als würdest du jeden Moment auf offener Straße Harakiri betreiben. Was war los?«
    Was los war?
    »Was los war? Nichts. Nichts war los. Ich war nur … ich wollte dich nur besuchen. Das ist alles. Du bist sonst doch immer um die Uhrzeit zu Hause.« Diesen leisen Vorwurf in meiner Stimme höre ich selbst und könnte mich dafür schlagen. Im Bad rauscht die Spülung.
    »Ich war mit Michelin und ein paar Leuten unterwegs«, antwortet er, und es klingt ein wenig ausweichend. »War denn nichts Dringendes?«
    »Ich hab was Dringendes!«, ruft im Hintergrund Michelin so laut, dass ich es hören kann.
    »Nein, ich wollte nur … ich wollte dich nur sehen«, stammele ich und fühle mich schäbig, weil ich ihm jetzt nicht die Wahrheit sagen kann.
    »Darf ich mal?«, ertönt es, und schon wechselt am anderen Ende der Hörer zu Michelin.
    »Frauke, hi, hör mal: Kannst du morgen bitte pünktlich um neun im Büro sein? Ich muss um zehn los und möchte unbedingt, dass du vorher noch über das Konzept guckst. Ich wette, ich hab ein paar Fehler eingebaut und bin zu blind, sie selbst zu finden. Machst du?«
    »Klar«, antworte ich einsilbig.
    Kurze Pause.
    »Alles in Ordnung mit dir? Ist was passiert?«, kommt es da auch schon. Der geschäftige Ton hat sich warm gefärbt. In meinem Hals kratzt es.
    »Ein bisschen«, raune ich, weil ich fürchte, Antonie könnte mich hören. »Erzähl ich morgen im Büro.«
    Michelin zieht die Luft ein. »Okay. Fällt mir schwer, aber ich denke, du kannst jetzt vielleicht nicht …?«
    »Genau!«
    Damit hat sie erfahren, was sie zu erfahren hoffte. Ich kann sie fast grinsen sehen. Kombiniert mit einem erwartungsvollen Glitzern in den Augen.
    »Gut. Dann bis morgen. Und einen schönen Abend noch.«
    »Euch auch«, schaffe ich noch schnell rauszubringen und ihrer Verabschiedung damit ein wenig das Heikle zu nehmen.
    Mit dem Hörer in der Hand stehe ich noch ein paar Minuten wirrköpfig mitten im Raum.
    Bis die Badtür geöffnet wird und Antonie herauskommt wie ein Schmetterling nach der Verpuppung.
    Sie sieht plötzlich ganz anders aus. Kleiner. Dünner. Weicher. Als habe sie einen Panzer abgelegt. Ihr Gesicht, mit dem Handtuch leicht rosa gerubbelt. Auf dem T-Shirt, unter dem sie ganz sicher keinen BH mehr trägt, ein kleiner Fleck in Brusthöhe.
    »Zahnpasta«, erklärt sie lächelnd, und ich kann spüren, wie ich rot anlaufe, weil sie meinen Blick dorthin so deutlich wahrgenommen hat.
    Mir wird plötzlich klar, dass ich sie im Herbst kennen gelernt habe. Wenn man sich nur in Pullis und Jacken kennt. Wenn nackte Arme, die aus dem verwaschenen T-Shirt schauen, ganz ungewohnt wirken, verletzlich. Der Anblick der feinen Härchen auf der langsam verblassenden Sommerbräune rührt mich auf eine nie gekannte Weise. Auf ihre Beine, die schlank unten aus dem langen T-Shirt rausragen, traue ich mich nicht, auch nur einen einzigen Blick zu werfen.
    »Das Telefon hat noch geklingelt«, murmelt sie, ein wenig verschämt, und deutet auf den Hörer, den ich immer noch umklammert halte. »So spät?«
    »Das war Lothar«, sage ich. Nur drei Worte. Aber mit ihnen steht plötzlich etwas im Raum. Der Zauber, der gerade wie sichtbar gewordener aprilfrischer Weichspüler zwischen uns gehangen hat, verflüchtigt sich.
    »Wo schlafe ich denn?«, fragt sie.
    »Wie?«
    »Wo ich schlafe? Wo soll ich meinen Körper zur Ruhe betten?«, wiederholt sie lächelnd.
    Meine Röte, ohne jede Chance abzuklingen, vertieft sich. Ich kann es spüren. Wie eine Zwölfjährige, der die bloße Koppelung der Worte ›Bett‹ und ›Körper‹ schon peinlich ist.
    »Oh, ich hab schon lange keinen Übernachtungsbesuch mehr gehabt. Hier in der Wohnung noch nie. Scheinbar hab ich alles vergessen, was man da so organisieren muss … tja, da gibt es ja das Sofa. Aber es könnte sein, dass Loulou heute Nacht beschließt, das Lager dort mit dir zu teilen. Das Bett ist auch groß genug für zwei Personen …«
    »Schnarchst du?«, unterbricht sie mich. Wahrscheinlich hängt von meiner Antwort einiges ab …
    »Ich nicht, nein. Aber Loulou manchmal«, sage ich daher langsam.
    Antonie dreht sich auf den Fersen herum und richtet sich zum Schlafzimmer aus.
    »Dann gibt es gar keinen Grund, noch länger zu überlegen!«, behauptet sie.
    Und ich

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