Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Gegenteil von meinem Füller war immer mein Kugelschreiber.«
Sie lacht laut heraus und hält sich die Hand vor den Mund. »Das hab ich noch nie gedacht!«, feixt sie.
Aber ich lasse mich in meinem Gedankengang ausnahmsweise mal nicht unterbrechen. »Dabei ist es doch eher so, dass es kein Gegenteil gibt bei diesen Dingen, oder?«
Antonies Gesicht wird glatt, und sie schaut mich neugierig an.
»Kein Gegenteil. Stimmt. Das Gegenteil von Schokolade ist nicht Vanille, sondern alles, was nicht Schokolade ist.«
»Du zum Beispiel …«
»Zum Beispiel, ja. Ich. Du. Alles eben.«
»Was Kinder so alles denken, nicht?«, murmele ich.
»Manchmal wünsch ich mir, ich könnte die Welt heute immer noch so unvoreingenommen betrachten wie früher. Alles war möglich.«
Ich mag dieses Gesicht an ihr. Ihr übliches Sprühen wird gedimmt, und sie funkelt nur noch sanft, wenn sie so ist wie jetzt gerade.
»Als ich noch klein war«, beginne ich und muss lächeln. »Da habe ich geglaubt, wenn mein Vater es will, dann kann er aus dem nächsten Tag, der vielleicht ein Montag ist, einen Dienstag machen. Ich dachte immer, falls es mal eine ganz ganz wichtige Situation für mich gibt, in der es lebensnotwendig ist, dass aus einem Montag ein Dienstag wird, dann müsste ich ihn nur bitten, und es würde so passieren. Das war ein wirklich beruhigendes Gefühl, diese Sicherheit im Hintergrund zu haben.«
»Daran siehst du, dass die Sicherheit, in der wir uns im Leben so oft wiegen, eigentlich nur ein Schein ist. Wenn sie dann auf die Probe gestellt wird, stellt sich meistens raus, dass sie reine Illusion war«, antwortet sie gelassen.
Das macht mich für eine Weile sprachlos.
Auch Antonie sagt nichts. Sie steht vom Sofa auf, geht zum CD -Player und legt eine CD ein, die sie vorher sorgfältig aussucht. Langsame Musik ist es. Nachtmusik. Dann kehrt sie zurück und setzt sich, näher, und schweigt.
Für eine, die mitten in der Nacht bei einer anderen, die sie kaum kennt, aufkreuzt, sagt sie wenig. Man sollte doch meinen, es gäbe viel zu sagen. Aber ich habe den Eindruck, sie will einfach nur … hier sein. Ab und zu strei fen unsere Blicke über das Gesicht der anderen. Das ist alles.
»Woran denkst du? Du siehst so nachdenklich aus«, will sie nach etlichen Minuten, die einfach so verstreichen, wissen.
Ich habe gerade über Sicherheit nachgedacht.
Emma, die Sicherheit in ihrer Beziehung zu finden glaubt, in der sie aber nicht mehr wirklich glücklich ist.
Ich, die ich mich nur in Sicherheit fühle, wenn ich alles unter Kontrolle habe – und das ist in den letzten Wochen ja nun wahrlich nicht der Fall.
Und Antonie, die doch gewiss auch das Bedürfnis nach Sicherheit hat, obwohl sie so abgeklärt darüber spricht.
»Ich wüsste gern was«, stocke ich.
»Und was?«
»Ob es einen Unterschied gibt. Ich weiß, ich weiß, du sagst, dass du das nicht weißt, weil du nie mit einem Mann zusammen warst. Deswegen kannst du es mir auch nicht beantworten. Aber ich grübele halt immer nach. Ob es einen Unterschied gibt. Ganz theoretisch natürlich, denn ich habe ja noch nicht mal …«
Antonie legt fragend den Kopf schief. »Noch nicht mal?«
Ich glaub, jetzt werde ich wohl konkreter werden müssen. »Ich hab noch nicht mal eine Frau geküsst«, sage ich in einem Tonfall, der nach einem peinlichen Geständnis klingt.
Antonie betrachtet mich nachdenklich, den Zeigefinger an die Lippen gelegt. Ihr Blick gleitet von meinen Augen hinunter zu meinem Mund.
Jetzt plötzlich fällt mir auf, wie nah sie neben mir sitzt. Verdammt nah.
»Ach«, sagt sie schließlich, und ihr Blick wird auf eine bisher mir unbekannte Weise magnetisch. »Wenn es weiter nichts ist …«
Dann küsst sie mich.
Schock.
Zuerst geht gar nichts.
Ich sitze wie eine verschreckte Jungfrau da und bin am ganzen Körper stocksteif. In meinem Kopf rattert es. Mein Blut gerät in sturmflutartige Bewegung.
Sie berührt meine Lippen mit ihren nur ganz zart. Immer wieder. Ihre Augen sind geschlossen, und sie atmet ruhig. Eine Liebkosung ohne große Leidenschaft, aber mit größter Hingabe. Außer mit ihrem Mund berührt sie mich nur an der Schulter. Und nachdem mein erster Schrecken abgeklungen ist, setzen sich ganz selbstständig meine Hände in Bewegung und krabbeln auf sie zu. Sie lässt mich einfach. Küsst nur immer weiter. Während ich beginne, sie zu umarmen. Beginne. Nur vorsichtig. Dann inniger. Sie im Arm halte und plötzlich alles in mir schwirrt vor echtem
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