Das Gegenteil von Schokolade - Roman
bin ich mitten in einem sehr persönlichen Gespräch über ehemalige Beziehungen. Nicht nur meine. Nein, sie erzählt auch von sich. Von ihrer ersten Freundin, die sie nach vier gemeinsamen Jahren von einem auf den anderen Tag verließ, weil ihre Gefühle sich geändert hatten.
silbermondauge: ich dachte, die welt bricht zusammen. und sie konnte mir nichts erklären. konnte keine gründe nennen. es war, als hätte sie ihre liebe beim einkaufen irgendwo an der kasse liegen lassen. sie war einfach … fort
loulouzauber: du weißt es bis heute nicht?
silbermondauge: sie selbst weiß es bis heute nicht. unsere freundinnen waren völlig von den socken und konnten es nicht fassen
Ich sehe die Gesichter vor mir. Unsere gemeinsamen Freunde. Michelin, die sich erst mal setzen musste. Katjas Augen, tellergroß, ihre Wangen hektisch gerötet. Wie sie hin und her rannte und mich gar nicht mehr zu Wort kommen ließ, bis sie am Ende regelrecht hysterisch wurde und mich ankreischte: »Ihr wart immer mein Traumpaar! Das wirft jetzt mein komplettes Wertesystem über den Haufen! So was kannst du doch mit deiner besten Freundin nicht machen. Ich meine, wenn ihr es nicht geschafft habt miteinander … wer soll es denn dann schaffen?«
silbermondauge: auch traumpaare schlechthin haben probleme. die hat doch jeder. aber davon abgesehen sind wir allen so harmonisch und einander bejahend und einig erschienen, wie man sich ein glückliches paar nur vorstellen kann
loulouzauber: vielleicht liegt genau da der knackpunkt. bei uns herrschte auch weitestgehend immer harmonie. wir kannten uns eben und fanden uns gegenseitig wirklich in ordnung und waren uns in fast allem einig – bis auf die Frage, was die perfekten Haustiere sind, hunde oder katzen. und wahrscheinlich findest du mich ziemlich verrückt, aber während ich das schreibe, spüre ich es wieder, dieses verzehren nach einer möglichkeit
silbermondauge: einer möglichkeit?
loulouzauber: ja, einer möglichkeit. es ist ja nicht besonders schwer, sich zu verlieben. aber eine möglichkeit zu finden, um die liebe dann auch festzuhalten, die habe ich noch nicht entdeckt. du vielleicht?
Sie antwortet nicht.
Sie antwortet lange nicht. Dann schreibt sie:
silbermondauge: was passiert wohl mit all den großen gefühlen? der zuversicht, der hoffnung, den perspektiven? kann man sich eigentlich eines menschen und seiner liebe wirklich sicher sein?
loulouzauber: wir waren uns unser so sicher, dass unsere hände im berühmten feuer verschmort wären, in das wir sie ohne zögern gehalten hätten. ja, wir hätten geschworen, dass nichts uns je würde auseinander bringen können. und genau genommen hat uns auch nichts auseinander gebracht. wir sind nur einfach kein paar mehr, sondern beste freunde
silbermondauge: entschuldige, aber das klingt trotzdem ziemlich tragisch. ich bin berührt davon, wie du das beschreibst. geht es ihr denn genauso? oder liebt sie dich noch?
Plötzlich begreife ich.
Ich tausche hier Vertraulichkeiten mit einer Fremden aus, die nichts über mich weiß. Sie glaubt, dass Lothar eine Frau ist und ich lesbisch bin. Und ich würde mir wie eine gemeine Betrügerin vorkommen, ihr jetzt die Wahrheit zu sagen. Nach den drei Stunden, die wir uns jetzt gegenseitig von uns erzählt haben, wäre das für sie wahrscheinlich ein echter Schlag ins Gesicht.
Ich kann ihr das nicht sagen.
Und ich will auch nicht.
Es ist ja nichts Wirkliches. Es ist nur eine Unterhaltung über den Computer, nicht mal mit einem wirklichen Menschen.
Sie könnte eine Fiktion sein. Eine bloße Erfindung. Die mich tröstet.
loulouzauber: wir sind uns einig.
silbermondauge: auch darin? das ist ja verblüffend. – übrigens bin ich dir noch eine antwort schuldig …
loulouzauber: was meinst du?
silbermondauge: menschen, die an fatalismus glauben, nehmen ihr leben nicht wirklich in die hand, sondern verlassen sich immer darauf, dass alles schon von einer höheren macht geleitet wird. das ist doch wohl ein echtes übel, findest du nicht?
loulouzauber: es wäre bequemer
silbermondauge: das leben nach der idee eines anderen zu leben? bequem?
loulouzauber: sei doch mal ehrlich. wann geht es denn im leben schon so, wie wir es uns wünschen?
silbermondauge: ich muss lachen. du wirkst wie eine frustrierte siebzigjährige, die auf viele bittere enttäuschungen zurückblickt
loulouzauber: ist doch wahr!
silbermondauge: ach was! komm! wir nehmen unsere leben selbst in die hand! lass uns uns verabreden!
Was meint sie
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