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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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geschaffen hatte. Das wusste er ohne Eitelkeit und besonderen Stolz. Lebendig. Ungewöhnlich. Fast verstörend in seiner Gegenüberstellung einer modern wirkenden jungen Frau vor den glatten honigfarbenen Wänden eines englischen Landhauses. Es war nicht fertig, das ging nicht in so kurzer Zeit. Das Kleid war unvollständig. Es fehlte der Hintergrund. Aber das Wesen des Mädchens war eingefangen.
    Wieder schrie die Eule. Wenn sie ein drittes Mal schrie, wusste er, was er zu tun hatte. Beim heiligen Petrus war es doch der Hahn? Bevor der Hahn dreimal kräht – oder war es zweimal? –, wirst du mich dreifach verraten haben. Es war lange her, seit Karel Stastny einer Messe beigewohnt hatte. In seinem früheren Leben war man zur Religion nicht ermuntert worden.
    Er saß auf der verblassten Chaiselongue und betrachtete sie. Ihre Augen waren vorwurfsvoll. Du hast mich verlassen . Es wäre nicht unmöglich, sie wiederzufinden. Schwierig vielleicht. Auch gefährlich. Im schlimmsten Fall ein Arbeitslager; bestenfalls niedrige Arbeit für den Rest seines Lebens. Aber nicht unmöglich. Es war kein großes Land. Verrate mich nicht wieder, Karel .
    Die Eule schrie zum dritten Mal. Er wusste, dass er das Mädchen an der Wand übermalen musste.

9
    Meredith
    D en restlichen Sonntagnachmittag war ich damit beschäftigt, meinen Unterricht vorzubereiten, wobei ich mir Zeit ließ und versuchte, jede Stunde in Einheiten von je zehn Minuten zu unterteilen, obwohl ich wusste, dass ich keine Lust hatte, mich an einen derart rigiden Zeitplan zu halten, wenn ich vor meinen Schülern stand. Es gelang mir, die Aufgabe in die Länge zu ziehen, bis es Zeit fürs Backgammonspiel drüben bei Simon war. Wir hatten im letzten Schuljahr diese Sonntagabendtradition eingeführt, sie allerdings während der Sommermonate zugunsten von Krocket und einem Glas Pimm’s ausgesetzt. Doch jetzt war ich beinahe froh, dass wir Herbst hatten und ich mich in Simons kleinem Wohnzimmer vergraben konnte, wo die zugezogenen Vorhänge die Dunkelheit draußen aussperrten. Er würde seinen Kamin anmachen und uns eine große Kanne Tee kochen, die wir dann zu unbestimmter, aber wahrnehmbarer Stunde durch eine Flasche Rotwein ersetzten. Ich würde lachen und Bücher und Filme verteidigen, die ich mochte, Simon aber nicht – und wieder die Frau sein, die ich einst war.
    Ich überquerte den Rasen, um zur Einfahrt zu gelangen, und kämpfte dabei mit einer Gefühlsmixtur aus Eifersucht und Schuld. Mein Vater saß heute Abend allein in seinem Büro, um Verwaltungsaufgaben zu erledigen und nicht an meine Mutter zu denken, die früher nähend im Wohnzimmer saß und durch die geöffnete Tür gerade so zu sehen war, bereit, wenn erforderlich einen Rat zu erteilen oder die Psychen von Lehrern und Schülern zu sezieren.
    Simon wohnte in einem von der Schule angemieteten kleinen Cottage gleich neben dem Schulgelände an der Straße, die zum Dorf führte. Inzwischen war die Sonne ganz untergegangen. In südlicher Richtung war eine Baumreihe auf dem Kamm der Downs von hinten orange angestrahlt, darüber ballten sich dunkle Wolken. Ein Anblick, der mich fast wünschen ließ, malen zu können. Meine Versuche waren immer so erbärmlich im Vergleich zu den Werken meiner Schwester, weshalb ich sie irgendwann ganz aufgegeben hatte.
    Simon machte an diesem Abend einen müden Eindruck, obwohl sein Grinsen, als er mir die Tür öffnete, so warmherzig war wie immer. Vielleicht war er gestern an der Reihe gewesen, ein Rugby-Team zu einer abgelegenen Schule zu begleiten. Einige Trainer waren wegen eines Staus auf der Autobahn erst nach sieben Uhr zurückgekommen.
    Während wir in sein Wohnzimmer gingen, meldete sich sein Laptop mit einem Piepen. »Achte nicht darauf«, sagte er. »Es ist der Instant Messenger. Ich vergaß, mich abzumelden.« Er drückte den Deckel zu. »Ich habe ein wenig an der Geschichte des Hauses gearbeitet.« Er recherchierte Letchfords Vergangenheit für ein Buch, das er herauszubringen hoffte.
    Ich hätte Simon allerdings nicht mit einem Instant Messenger in Verbindung gebracht. Auf mich machte er den Eindruck von jemandem, der handgeschriebene Postkarten aus interessanten Galerien verschickte. Auch konnte ich mich nicht erinnern, dass der elegante neue Laptop vor diesem Sommer schon zu seinem Leben gehört hatte. Seine Stundenpläne hatte er immer per Hand geschrieben, was ihm den Spott der Kollegen einbrachte.
    »Hast du noch immer Lust auf eine Spritztour rüber nach

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