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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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runter.« Wenn er jemanden auf Englisch aufforderte, etwas zu tun, klang er ruppig. Er nahm sich vor, daran zu arbeiten.
    Als sie nach unten kam, hatte sie ihr Haar mit einem schwarzen Samtband zusammengebunden. Eine einzelne Locke fiel über ihre rechte Schulter. Dieser korrekte englische Stil betonte ihre Schönheit. Erst jetzt sah er sie als eine Person, für die er sich interessieren könnte. Doch sobald er sich dessen bewusst wurde, traf ihn das Heimweh wie eine kalte Dusche. Er wollte dieses alte Haus nicht und auch nicht dieses englische Mädchen mit der blassen Haut und den guten Manieren. Er wollte das, was er zurückgelassen hatte.
    »Ich werde in Oxford Farben kaufen. Dann können wir heute Abend anfangen. Während ich weg bin, könntest du schon mal anfangen, die Wand zu streichen.«
    Sie sah ihn überrascht an.
    »Entschuldige«, ergänzte er. »Ich fange an – wie heißt das Wort – herumzukommandieren, wenn ich mich von einer Idee mitreißen lasse.«
    Auf seiner Rückfahrt nach Letchford, mit den Farben und Pinseln auf dem Rücksitz seines mühsam zusammengesparten Mini, ging er alles durch, was er hatte. Einen Job. Ein Auto. Vielleicht ein Mädchen. Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass Susan ihm heute Abend erlauben würde, mit ihr zu schlafen. Es gab keinen Grund, sich vor Kummer zu verzehren. Er hatte Nachricht von seiner Mutter bekommen, über eine Freundin in der Schweiz. Es ging ihr gut, aber sie siedelte in den Norden des Landes um, nahe an die polnische Grenze. Dort gab es mehr Arbeit. Sie musste arbeiten. In der in ihrem eigenen Haus eingerichteten Kommune war kein Platz mehr für sie. Wie die Arbeit allerdings aussah, die sie jetzt machte, darüber dachte er lieber nicht nach.
    Seine Mutter hatte in ihrem Brief niemand anders erwähnt. Er hatte ihr aber auch nicht erzählt, was passiert war, als er die Tschechoslowakei verließ. Das war alles vorbei. Vergiss es. Konzentrier dich hierauf. Werde der perfekte Engländer.
    John Andrews, der ihn aufgenommen hatte, als er achtundsechzig ins Land gekommen war, hatte ihm geraten, Lehrer zu werden. »Man braucht drüben immer gute Sprachlehrer«, hatte er gesagt. »Die Engländer selbst sind verdammt unfähig, die Sprachen anderer zu sprechen. Ich würde mich auf Deutsch verlegen, wenn ich du wäre, Charlie.« Karel – Charlie – sprach diese Sprache fließend; es war die Sprache seiner Mutter, wenngleich diese sie seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Früher, bevor man seinen Vater in die Uranmine geschickt hatte, hatte ihm dieser auch Englisch beigebracht, hinter gut geschlossenen Fenstern, damit die Passanten es nicht hören konnten.
    »Ich glaube nicht, dass ich je Deutsch unterrichte«, sagte er John.
    »Ich hätte nie geglaubt, dass ich je Deutsch unterrichte …«, korrigierte er ihn. »Die Kunst ist gut und schön, aber das kannst du immer noch in der Freizeit tun.«
    Tief in seinem Herzen rebellierte Karel dagegen, aber er hatte dieses Gefühl ausgemerzt. »Du weißt das am besten. Ich tue, was du sagst.« Außerdem verspürte er kein echtes Verlangen mehr, den Pinsel in die Hand zu nehmen. Aus dem Künstler Karel Stastny wurde Charles Statton, der Lehrer.
    Als er zusah, wie der Verkäufer die Farben, Terpentinersatz und Pinsel in der Papiertüte verstaute, verspürte Karel den alten Sog. Fast wünschte er, Susan wäre bei seiner Rückkehr nicht im Haus und er allein mit der leeren Wand: ein stiller, sorgloser, einladender Rückzugsort. Im Geiste hatte er das Wandgemälde bereits gemalt. Er würde sie vor das Haus und die Eichen platzieren.
    Susan kam ihm auf den Stufen entgegen. Sie trug einen blauen Overall und hatte die Hosenbeine hochgekrempelt. »Ich habe die Wand bereits abgeschliffen«, sagte sie selbstzufrieden. »Außerdem habe ich die Löcher mit Gips verputzt. Wir können sie gleich grundieren.«
    Sie hatte gute Arbeit geleistet. Als sie die Wand strichen, war die weiße Grundierung so glatt wie die Seiten eines dieser bei den Engländern so beliebten Hochzeitskuchen. Selbst die obszönen Bilder schienen verblasst zu sein. Während sie darauf warteten, dass die Farbe trocknete, bereiteten sie sich in der Küche Omeletts zu. Susan schlüpfte wieder in ihr Samtkleid, und er fertigte ein Dutzend Skizzen von ihr an, wie sie draußen auf einem der steinernen Löwen neben der Tür saß.
    »Ich sehe aus wie Britannia«, sagte sie, als sie über seine Schulter auf seinen Block schielte. »Mir fehlt nur der Helm.« Sie

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