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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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warteten, bis alles geregelt war, saßen wir in dem kleinen Wohnzimmer. Ich sah nichts anderes als die Seidenfransen des Sofakissens, das ich im Schoß hielt. Mein Blick ruhte auf diesen Fransen, weil ich wusste, wenn ich ihn hob, würde die Welt um mich herum einstürzen, und ich wäre verloren. Hugh war verletzt. Hugh war lädiert. Hugh hatte ein Bein verloren. Diese Worte wiederholte ich immer und immer wieder und versuchte, einen Sinn darin zu erkennen. In gewissen Abständen sprang ich auf und lief durch das kleine Wohnzimmer. Dann sprang auch Samson von seinem gewohnten Platz auf einem der Teppiche auf, die Hugh bei seinem letzten Heimaturlaub mitgebracht hatte. Der arme Hund, er hielt mein unruhiges Umherlaufen für das Signal zum Spaziergang. Dann enttäuschte ich ihn, indem ich mich wieder auf meinen Platz fallen ließ und mich der Betrachtung meiner Sofakissen widmete.
    Schließlich musste ich meinen Blick doch heben. Clara und ich fuhren nach Birmingham, als die Globemaster-Maschine aus Kandahar gerade landete. Im Selly Oak Krankenhaus hielt ich Hughs Hand und betrachtete sein Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, er war nicht bei Bewusstsein. Ständig sagte ich mir, er werde sie aufschlagen und mich angrinsen, aber das tat er nicht. Ich wollte ihn rütteln, ihn anschreien, er solle aufwachen. Clara stellte all die Fragen, die ich nicht aussprechen konnte. Sie bekam Listen mit Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Sie mietete mich in ein nahegelegenes Bed & Breakfast ein.
    Ich wäre rund um die Uhr an seinem Bett geblieben, aber das ließ man nicht zu.
    Es dauerte eine Woche, bis er wieder zu uns zurückkam. »Bleib zurück!«, hatte er mich angeschrien, nachdem ich den Anruf erhalten hatte, dass er das Bewusstsein zurückerlangt hatte, und zu ihm auf die Intensivstation gekommen war. »Es ist nicht sicher, bleib zurück.« Dann hatten seine Augen das Entsetzliche registriert. »Wo sind die anderen?«
    Ich wusste, dass er nach seinen Männern fragte, den Männern, die er gern gehabt hatte. Ich wusste nicht, wie ich es ihm vermitteln sollte. Ich wusste nicht, wann seine Erinnerung einsetzte. Oder ob ich beten sollte, dass dies nie geschah.

12
    Meredith
    E s war ein fröhliches Erwachen an jenem Herbstmorgen in Letchford. Wenn nicht überschäumend fröhlich, so doch wenigstens zufrieden. Das Sonnenlicht tupfte meine Wände. Vögel sangen. Warum dicht am Rande meines Bewusstseins ein schweres graues Objekt schwebte, wollte mir auf Anhieb nie einfallen. Dann erinnerte ich mich. Mein Ehemann litt noch immer fürchterlich. Ich konnte ihm nicht helfen. Der Platz im Bett neben mir würde vermutlich immer leer bleiben. Meine Mutter würde mir nie mehr von der anderen Seite des Lehrerzimmers aus zuwinken oder mir eine Schüssel mit Himbeeren aus dem Garten in die Hand drücken.
    Heute nahm ich mir vor, das Wiederauftauchen der Erinnerung zu blockieren. Ich würde mich leicht fühlen und voller Energie. Ich war schließlich gesund, noch keine dreißig, hatte eine gute Arbeit, eine angenehme Unterkunft und war mit einer Schwester gesegnet, die mich unterstützte. Und einem Vater, ergänzte ich. Obwohl die Beziehung zwischen meinem Vater und mir ins Wanken geraten war. Immer öfter ertappte ich mich dabei, dass ich ihn während der Versammlungen beobachtete, das Zittern seiner Hände bemerkte, wenn er die Spielergebnisse verlas, und feststellte, dass seine Brillengläser verschmiert waren und sich an seinem Jackett ein Knopf löste.
    Ich versuchte, mit einem Sprung aus dem Bett meine Sorgen zurückzulassen. Ich hetzte Samson auf seiner Morgenrunde, als wäre mir der Kummer auf den Fersen. Der Hund warf mir verdutzte und den Gräsern, die von ihm nicht beschnüffelt werden konnten, bedauernde Blicke zu und beschleunigte seinen Schritt, um mit mir mitzuhalten. Ich nahm ein Frühstück aus einem groben Kanten Brot und einem Glas Orangensaft zu mir. Keine Zeit, Kaffee zu kochen. Ich suchte im Radio den fröhlichsten und geistlosesten Sender, den ich finden konnte, und drehte die Lautstärke voll auf. Ich duschte und wusch mir schnell meine Haare, ohne mir Mühe zu geben. Ich musste ins Klassenzimmer, musste vor meine Schüler treten. Sie würden mir keine Sekunde Selbstmitleid durchgehen lassen. Kommt und holt mich, wenn ihr mich wollt, sagte ich der grauen Masse.
    In der vergangenen Nacht hatte ich geträumt, einen mit Türen gesäumten Flur entlangzurennen. Klassenzimmer hatte ich anfangs gedacht. Es war mein erster

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