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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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uns unbekannten Hintergrund und einer Gedankenwelt, die sich womöglich nicht ins Englische übertragen ließ. Trotz all seiner Integrationserfolge musste mein Vater noch einen Teil in sich tragen, der einer anderen Kultur angehörte.
    »Hast du je daran gedacht, wieder Kunst zu unterrichten?«, fragte ich ihn, als wir beide allein vor dem offenen Fenster standen, während alle anderen sich um eine Schachtel mit Donuts scharten, die ein Elternteil für den Lehrkörper mitgebracht hatte.
    Er sah mich eindringlich an. »Wir haben ausgezeichnete Lehrer. Ich wäre nur im Weg.«
    Ich nickte, die Antwort überraschte mich nicht, aber sie enttäuschte mich dennoch. Vor dem Eingang fuhr ein Lieferwagen vor. Ich reckte den Kopf, um zu erkennen, wer es war.
    »Ah, der Glaser«, sagte mein Vater.
    »Welches Fenster ist es diesmal?«
    »Gavin House. Erdgeschoss.«
    »Fußball?«
    »Ja.«
    »Ich hoffe, du sorgst dafür, dass sie für die neue Scheibe aufkommen.« Er schwieg. »Dad?«
    »Es war nur ein kleiner Erstklässler. James Perry.« Er wirkte verlegen. »Ein fehlgeleiteter Schuss. Er wird nie wieder vor einem Fenster spielen.«
    »Du bist zu nachgiebig.«
    »Jeder hat eine zweite Chance verdient.«
    Nach der Pause hatte ich Unterricht in der dritten Klasse, wir besprachen den ersten Akt von Romeo und Julia, und sämtliche Hände schnellten in die Höhe, um Fragen zu beantworten oder sich zum Vorlesen zu melden. Ich spürte, wie ihre Energie auf mich übersprang. Ich lachte und debattierte mit ihnen. Vielleicht gäbe es mehr Vormittage dieser Art, wenn ich es schaffte, voll und ganz in meinem Beruf aufzugehen. Draußen hatte es jetzt zu nieseln begonnen, ein feiner grauer englischer Sprühregen, der einen mit winzigen Tröpfchen durchweichte. Die Schüler, die mir auf den Fluren entgegenkamen, rochen nach feuchten Uniformen, aber der schlimme Traum von letzter Nacht fiel dem Vergessen anheim. Ich trat meinen Weg zum Speisesaal zwar nicht gerade pfeifend an, aber meine Lippen erinnerten sich fast daran, wie man das machte, als mein Vater mit einem Blatt Papier in der Hand von oben auf mich zukam.
    »Ich möchte dich bitte in meinem Büro sprechen, Meredith.« Seine Augen nahmen nur eine Sekunde lang Blickkontakt zu mir auf. Mein Magen zog sich zusammen. Schlimme Nachrichten. Bitte Gott, lass es nicht Hugh sein. Ein schlimmer Rückfall. Vielleicht wieder eine Infektion im Stumpf seines verwundeten Beins. Aber Dads aufrechte Haltung schien eher Wut als Sorge auszudrücken. Was hatte ich getan? Offenbar hatte sich jemand über meinen Unterricht beschwert. Oder über mich. Oder über den Hund. Bestimmt war Samson wieder über die Gartenmauer gesprungen und dem Wagen von Eltern hinterhergejagt, die auf Besuch gekommen waren. Hunde waren auf dem Schulgelände nicht erlaubt.
    »Er wird dich immer strenger behandeln als jeden anderen«, hatte Clara mich gewarnt, als ich ihr meine Absicht kundtat, wieder hierher zurückzukehren. »Das weißt du doch wohl, Merry, oder? Er wird immer Stellung für den anderen und gegen dich beziehen, nur um zu zeigen, dass er unparteiisch ist. Du weißt doch, dass er ständig von Gerechtigkeit spricht.«
    Sie hatte recht behalten. Als ich ihm folgte, war ich einen Augenblick wieder das kleine Mädchen, das sein kostbares Wandgemälde abgeschrubbt und fast für immer ruiniert hatte.
    Erst als wir in seinem Büro waren, wandte er sich mir zu und wedelte mit dem weißen Blatt Papier. »Ich hätte hierfür gern eine Erklärung.«
    Ich nahm es ihm ab. Ein Bestellformular von einer Firma namens Delicious Confections. Mein Name und meine E-Mail-Adresse im Von -Feld. Es war eine Bestellung: eine Bestellung für eine Reborn-Puppe, ausgestellt vor zwei Wochen.

13
    D as habe ich nicht abgeschickt.« Ich starrte auf den Ausdruck, aber der Name Meredith Cordingley und meine E-Mail-Adresse standen dort schwarz auf weiß. Es war eine Bestellung für eine Alexander-Reborn-Puppe für 195 £ zuzüglich Versandkosten. Ein Junge also.
    Er sagte nichts.
    »Warum sollte ich auch?«
    Noch immer nichts.
    »Dad?«
    »Sollen wir?« Er nickte mit dem Kopf Richtung Ledersofa. Ich würde wie eine ungezogene Fünfjährige behandelt werden. Er selbst nahm nicht hinter seinem Schreibtisch Platz. Er setzte sich ebenfalls auf das Sofa, sodass wir einander leicht zugewandt waren, wie Interviewer und Kandidat. Nur dass ich nicht in der Stimmung war, mich befragen zu lassen. Angriff war die beste Form der Verteidigung.
    »Von wem hast du

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