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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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… da rüber.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte mich besser kundig machen sollen, bevor wir herkamen. Nachsehen in … wie heißt diese Stelle noch mal, die du im Internet hast, Meredith?«
    »Google Maps?«
    »Genau die. Ich wusste, dass wir das hätten tun sollen, aber ich war abergläubisch.« Er, der rationale Schuldirektor, abergläubisch. Er ging zu einem umgestürzten Baum und setzte sich auf den Stamm. »Es überrascht mich nicht wirklich.«
    Sie sah ihn mit zärtlicher Miene an. Wieder fühlte Karel sich an seine Mutter erinnert. Sie könnte Mama sein. Und er könnte der Junge sein, der er vor über vierzig Jahren war und der sich nicht traute, einen Blick über seine Schulter zu werfen, als er in den Westen aufbrach. Jung genug, um begeistert zu sein, und in Begleitung seiner Freundin. Dieser Junge dachte, er würde allerhöchstens ein paar Jahre wegbleiben, bis die nächste Revolution kam oder die Westmächte den Russen drohend nahelegten, sich zurückzuziehen. Es waren die Sechzigerjahre. Alles war im Umbruch, in ganz Europa, auf der ganzen Welt.
    Aber dazu war es nie gekommen. Oder erst nach vierzig Jahren. Und da war er inzwischen ein Schuldirektor mittleren Alters mit eigener Familie und einem Leben, das eine völlig andere Wendung genommen hatte, aber bestens funktionierte und perfekt war. Bis zu diesem Jahr.
    »Können wir uns ein wenig umsehen?«
    Als er den rechteckigen Umriss im Gras abschritt, konnte er erkennen, wo sich die einzelnen Räume befunden hatten. Es war ein großes Haus gewesen. Er arbeitete sich durchs Erdgeschoss: das Esszimmer und das formelle Empfangszimmer, das sie so gut wie gar nicht benutzt hatten, weil Dinnerpartys in der Tschechoslowakei der Sechzigerjahre nicht üblich waren; die Küche, wo der große Herd seine konstante, behagliche Wärme verströmt hatte. Was in den anderen Räumen untergebracht gewesen war, wusste er nicht mehr. Sein Schlafzimmer hatte direkt über der Küche gelegen, im Winter ein guter Platz zum Schlafen, weil die Hitze des Herdes durch den Dielenboden nach oben drang. Hana hatte es in jener letzten Nacht zu Hause unerlaubterweise mit ihm geteilt. Schwitzend hatte sie neben ihm gelegen. Er war davon ausgegangen, dass es nur an der Wärme im Zimmer lag, aber vielleicht war sie … Er schob diesen Gedanken rasch beiseite, weil er ihm unmöglich nachhängen konnte, während seine jüngere Tochter nur wenige Meter neben ihm durchs Gras lief.
    Die freie Liebe war damals noch kaum akzeptiert. Selbst Karels Freunde an der Kunstschule waren verschlossen, wenn es um Sex ging. Aber er hatte Hana in dieser letzten Nacht gebraucht. Ansonsten wäre es ihm nicht möglich gewesen, wach in seinem alten Zimmer zu liegen, seine Bücher in den Regalen und seine frühen Gemälde und Zeichnungen, ein paar Sportmedaillen und Trophäen, die er als Kind gewonnen hatte, anzusehen und zu wissen, dass er sie das letzte Mal betrachtete.
    Er wandte sich um, sodass er den Weg sah, auf dem sie hergekommen waren. »Lass uns fahren«, sagte Merry. »Das ist so unendlich traurig.« Sie klang bedrückt, als könnte sie die durch das Gras sickernde Vergangenheit spüren.
    Holpernd fuhren sie den Weg zurück.
    Meredith
    I ch fragte ihn nicht, wohin wir jetzt fuhren. Die Schilder nach Deutschland, Nemecko , waren nicht zu übersehen. Dads Gesicht verriet volle Konzentration. Schweigend fuhren wir etwa eine halbe Stunde lang durch die menschenleere Landschaft.
    Wir waren nur noch einen oder zwei Kilometer von der Grenze entfernt, als wir von der Schnellstraße abbogen. Hier gab es mehr Anzeichen von Leben. Deutsche im dicken Mercedes fuhren von Bayern Richtung Osten zum Einkaufen. Essen und Kleidung waren hier billiger, wie die Frau im Gasthof uns erzählt hatte. In den größeren Dörfern und Städten wurde auf vietnamesischen Märkten Ramsch für Touristen verhökert, und Mädchen verteilten Karten für Stripteaseklubs.
    Dad fuhr langsamer. Er zeigte auf den Grünstreifen neben dem Wald. »Irgendwo hier fing Hana an, mir zu sagen, sie könne nicht mehr weiter, sie fühle sich zu krank. Wir stritten darüber etwa eine halbe Stunde lang, obwohl sie ständig in die Büsche musste, um sich zu übergeben. Ich sagte ihr, sie könne doch so nah an der Grenze nicht aufgeben, ein neues Leben warte auf sie. Sie sagte, sie wolle nicht weggehen. Es sei grausam von mir, Druck auf sie auszuüben. Ich solle sie in Ruhe lassen und meinen Traum vom Kapitalismus zu Ende träumen.«
    Ich starrte

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