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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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fahren.« Da war er wieder, der pedantische Schuldirektor. »Es war weder eine lange noch eine beschwerliche Reise. Wir hatten zu essen und Geld, und wir fuhren vom Haus meiner Mutter los, aber Hana …« Er verschluckte das Ende des Satzes.
    »Hat sie es auch geschafft, über die Grenze zu kommen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Was ist passiert, Dad?«
    »Sie hat es sich anders überlegt.«
    Merry schwieg eine Weile.
    »Fahren wir da jetzt hin, zu dem alten Haus?« Sie war dankbar, auf ein anderes Thema umschwenken zu können.
    »Wenn es noch steht. Papa lebte nicht mehr, als ich wegging. Meine Mutter weinte, als ich sie in meine Pläne einweihte, aber sie gab mir ihren Segen.«
    »Sie verabschiedete euch also alle beide: dich und Hana?«
    »Sie fragte Hana immer wieder, ob sie glaube, das Richtige zu tun. Hanas Eltern waren gestorben. Sie lebte bei einer Cousine in Prag. Keinen interessierte es wirklich, was Hana tat. Abgesehen von mir.«
    Seine Stimme war fest. Doch es war ihm unangenehm, wie jener junge Mann zu klingen – ein Junge eigentlich und kein Schuldirektor mittleren Alters.
    »Erzähl mir von ihr.«
    »Sie war Kunststudentin. Sehr talentiert. Fasziniert von Farben und Stoffen.« Die Worte brachen sich jetzt Bahn. »Gleich in den ersten paar Wochen, die sie auf der Akademie war, fiel sie allen auf.«
    »War sie hübsch?«
    Würde es Merry das Herz brechen, wenn er es ihr erzählte? Würde sie denken, dass er damit Verrat an ihrer Mutter beging?
    »Sie sprühte vor Leben. War zu Zeiten fast wild.« Er erinnerte sich ihrer scharfen Zunge, der zärtlichen Versöhnungen. »Sie war eine typische junge Tschechin: feminin, aber stark und ungeduldig. Als sie von meinen Plänen, in den Westen gehen zu wollen, hörte, reagierte sie anfangs mit Verachtung. Sie war eine glühende Kommunistin und stand dem Prager Frühling skeptisch gegenüber. Anfangs. Hat dann aber die Freiheit in vollen Zügen ausgekostet.« Sie hatten Pläne geschmiedet, welche Galerien sie nach ihrer Flucht in Paris und New York aufsuchen wollten. Vielleicht war sie davon ausgegangen, sie gingen nur vorübergehend, erlebten ein Abenteuer, das nicht länger als ein paar Monate dauerte, bis alles sich wieder beruhigt hatte und sie nach Prag zurückkehren konnten.
    Dennoch hatte es ihn überrascht, als sie einwilligte, mit ihm zu kommen. Nie war er sich sicherer gewesen, dass ihre Gefühle für ihn genauso stark waren wie seine für sie.
    »Im Zug von Prag lernten wir zufällig ein paar Studenten kennen, die ebenfalls in den Westen wollten«, erzählte er Merry. »Sie gaben uns von ihrem Essen. Würstchen und Speck. Es schmeckte gut, aber es war warm im Zug, und ich fragte mich, wie lange sie das Essen wohl schon dabeihaben mochten. Später wurde Hana dann übel. An dem Morgen, als wir auf unseren Fahrrädern zur Grenze aufbrachen, übergab Hana sich im Haus meiner Mutter. Meine Mutter meinte, es seien nur die Nerven, und gab ihr Kamillentee zu trinken. Wir verließen das Haus meiner Mutter …« Er musste eine Pause machen. Er konnte es so deutlich sehen, als würde es im Moment geschehen: seine Mutter an der Tür, die ihrem einzigen Sohn hinterherwinkte. Sie waren zeitig aufgestanden, damit die anderen Leute im Haus nichts mitbekamen. Mama traute ihnen nicht.
    Sie bogen von der Straße ab und in einen Weg ein, der offenbar ins Dunkel des Waldes führte. »Das hier war alles abgeholzt, als ich das letzte Mal hier war«, sagte er. »Es ist nachgewachsen. Damals nach dem Krieg standen entlang der Straße auch noch Häuser. Sieh nur, du kannst ihre Umrisse im Gras erkennen.«
    Er zeigte ihr die Rechtecke der vor langer Zeit verschwundenen Häuser. Dann bog er erneut mit dem Wagen ab und in einen ausgefahrenen Weg ein, der kaum breit genug für ein Fahrzeug war. »Früher gab es ein richtiges Torhaus«, sagte er. Sie holperten etwa fünfzig Meter weit dahin. Dann blieb er stehen. »Oh.« Er stieg aus. Merry folgte ihm.
    Nichts. Nicht einmal mehr Ziegel auf dem Boden. Die Überreste eines Gartens kämpften immer noch um eine Daseinsberechtigung. Äpfel und Zwetschgen waren zu Boden gefallen, wo sie verrotteten. »Ich habe immer gehofft, sie würden es in Ruhe lassen. Immerhin hatten sie es nach dem Krieg verschont und stehen lassen.«
    »Als du deiner Mutter vor ihrem Tod schriebst, muss sie dir doch erzählt haben, was hier passiert ist?«
    »Viele ihrer Briefe haben mich nie erreicht. Vielleicht stand in denen, die unterwegs verloren gingen, etwas

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