Das geheime Kind
nein, das konnte er nicht gutheißen. In Wahrheit widerstrebte es ihm, dass Fofó dauernd mit dem Tod in Berührung kam. Sollte man das nicht den Älteren überlassen?
»Hat es Ihnen wirklich geschmeckt?«, fragte der Oberkellner.
»Zum Dahinschmelzen, der Granatapfelsalat. Der Chefkoch sieht zwar nicht so aus, aber er ist ein Genie.«
»Es wird ihn freuen, das zu hören. Ihm fehlt ein bisschen die Motivation.«
»Ihnen wohl nicht. Ist sicher kein Vergnügen, in einem Laden wie dem ›Brabanter Hof‹ zu arbeiten.«
»Ich mag meinen Beruf.«
»Wie lange sind Sie schon im Service?«
»Ich habe mit fünfzehn angefangen.« Obwohl er das Resultat kannte, rechnete er im Kopf nach, als würde er seinem Gedächtnis nicht trauen. »Das müssten dann knapp fünfzig Jahre sein.«
»Ist nicht wahr.« Ein halbes Jahrhundert Tischdecken, Tellerschleppen, Auf- und Abtragen, mit Tausenden Gästen plaudern, wie Photini bereits vermutet hatte. Sie konnte es trotzdem nicht fassen.
»Ich war sogar mal bei Witzigmann in München, Anfang der Achtziger. Eine verrückte Zeit.« Der Oberkellner schien über seine besten Jahre nachzusinnen. »Jeden Abend gab es mindestens eine Katastrophe. Wenn man jünger ist, gewöhnt man sich daran. Irgendwann haben Sie genug davon.«
»Und wie sind Sie hier gelandet?«
»Sie haben es doch gesehen: Da drin ist wenig los, trotz des hohen Niveaus der Küche. Für die Gäste ist das Lokal eine echte Entdeckung, aber keine von denen, die man weitererzählt. Das ist natürlich schlecht fürs Geschäft, aber gut für die Atmosphäre.«
»So?«
»Ich mag es, die Verblüffung der Leute zu sehen, wenn sie von den Gerichten kosten und etwas bekommen, womit sie nicht gerechnet haben. So etwas geschieht selten genug, glauben Sie mir. Nehmen Sie dagegen ein Drei-Sterne-Restaurant, da ist niemand mehr überrascht, nicht auf die Art, wie Sie es vorhin waren.«
»Lange wird’s der ›Brabanter Hof‹ nicht mehr machen«, wandte Photini ein.
»Ich auch nicht.« Der Oberkellner lachte. »So ist das in der Gastronomie, ein stetes Kommen und Gehen. Am Ende wird man von niemandem vermisst.«
Sie öffnete die Wagentür und schwor sich, nie mehr einem Restauranttipp in der Zeitung zu trauen. Die wahren Perlen fand man durch Zufall.
»Haben Sie erfahren, was Sie wissen wollten?«, fragte er.
»Mehr, als ich für möglich gehalten habe.«
»Aber sicher nicht alles.«
»Was meinen Sie damit?« Photini merkte auf.
Der Oberkellner warf einen Blick zum Bürofenster des Restaurantchefs. »Wenn Bahling so weitermacht, kündige ich.«
»Er tut so, als sei der Weinkeller sein Privateigentum, stimmt’s?«
»Das haben Sie also schon herausgefunden?«
»Er war unvorsichtig«, sagte Photini.
»Unterschlagung ist in dieser Branche leider ein Kavaliersdelikt. Aber Bahling benimmt sich auch sonst wie ein Gutsherr. Er schreitet jeden Tag sein Revier ab.«
»So?«
»Dabei ist er manchmal für längere Zeit abwesend.«
»Wie? Verlässt er das Hotel?«
»Ich will ihn nicht denunzieren.« Der Oberkellner kam ins Stocken. »Wir wissen nur des Öfteren nicht, wo er sich genau aufhält.«
»Meinen Sie, er ist nicht in seinem Büro?«
»In der Küche sieht man ihn auch selten.«
»Wo treibt er sich denn herum?«, fragte Photini.
»Vermutlich irgendwo im Haus.«
Sie verstand. Der Mann wollte ihr etwas sagen, ohne konkreter werden zu müssen. »War das auch letzte Nacht so?«
»Es ist immer so.«
»Klaus Bahling ist also gern mal eine Weile weg. Um was zu tun?«
»Das müssen Sie selber herausfinden. Es handelt sich um nichts Ungesetzliches, sonst würde ich offener sprechen.«
»Soll das heißen, dass Bahlings Alibi nichts wert ist?«
»Kommt darauf an«, erwiderte der Oberkellner.
»Sie erinnern mich an meinen Vater. Der würde sich eher erschießen lassen, als sich festzulegen.«
»Nett, dass Sie das sagen.«
RAUPACH WUSSTE DEN SECURITY-MANN hinter sich, mit einer Kanone unter der Achsel und einem Schlagring in der Hosentasche.
Manche Dinge änderten sich nie.
Dastmalchian fuhrwerkte an einer Zigarre herum. Rollte sie zwischen den Fingern, schnitt die Spitze ab, lutschte daran.
Bei den meisten Leuten sah das widerlich aus. Doch als junger Mann, bevor er sich seinen diversen Geschäften verschrieben hatte, war der Exil-Perser ein ausgezeichneter Nay-Spieler gewesen. Er hatte die orientalische Rohrflöte so kunstvoll wie ein Derwisch geblasen. Das merkte man immer noch, wenn er die Zigarre in den Mund
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