Das geheime Kind
zusammengeschweißt und nach und nach mehr entstehen lassen, stummes Einverständnis und eine Form von Zuneigung, die für Raupach schwer zu benennen war. »Du bist kein Mönch«, hatte sein Freund Felix ihm einst erklärt. »Überlass die Enthaltsamkeit anderen.« Ein Herzensbrecher war er allerdings auch nicht. Er war ein Bulle, und seine einzigen Freunde waren ebenfalls Bullen, andere hatte er nicht mehr, und sie alle waren ein bisschen spröde und neurotisch. Nur Jakub Skočdopole, der Psychologe im Kernteam der Mordkommission, hatte Frau und Kinder. Dafür rauchte er Kette.
Eigentlich sollte Photini ihn jetzt begleiten, damit sie etwas dazulernte. Es kam nicht alle Tage vor, dass er sich in freier Wildbahn bewegte, um alte Bekannte zu treffen. Als Chef der Mordkommission tat er zwar besser daran, die Straßenarbeit seinen Mitarbeitern zu überlassen. Doch gelegentlich war es vonnöten, einen Blick auf die andere Seite zu werfen. Er wollte nicht die Bodenhaftung verlieren – und sich auch mal jünger fühlen dürfen.
Bei Photini gelang ihm das nicht mehr. Durch diesen Patrick fiel ihm endgültig die Rolle des guten Onkels zu. Was hatte sie da vorhin für ein Kreuzverhör abgezogen? Endlich eine Beziehung, da sollte sie zugreifen, wenn die Konditionen stimmten. Bei Photini und Patrick stimmten sie anscheinend nicht, zumindest nicht ganz. Deshalb zögerte sie, verständlich, aber noch lange kein Grund, von Raupach Liebesschwüre zu verlangen.
Wenn das so weiterging, musste er sie in eine andere Abteilung versetzen. Oder er bewarb sich selbst auf einen neuen Posten.
SEINE BLEISTIFTSKIZZE hatte sich inzwischen zu einem Action-Painting ausgewachsen. Raupach zerknüllte das Blatt, schlürfte seinen kalt gewordenen Espresso aus und beglich die Rechnung. Dann ging er die Treppe zu den Toiletten hinunter.
Es sah übel aus in dem schmalen Gang, Plakatreste an den Wänden, herabgefallener Putz, Löcher im Fußboden, als habe ihn jemand mit einem Vorschlaghammer bearbeitet, an den Wänden dunkle Flecken, von denen man nicht wissen wollte, woher sie stammten. Es roch nach einem Bukett menschlicher Ausscheidungen, zuzüglich Katzenpisse. Zitrusreiniger sollte den Harnsäuregestank wohl überdecken, brachte ihn aber noch stärker zur Geltung.
Keine besonders effektive Abschreckung, fand Raupach und durchquerte den Gang bis zu seinem weniger verdreckten Ende.
Eine Stahltür.
Er klopfte.
Über dem Türstock befand sich eine winzige Öffnung, wie bei einem Notebook mit Webcam. Raupach machte das Victory-Zeichen, etwas Dümmeres fiel ihm nicht ein.
Die Tür schwang langsam auf. Dahinter befand sich ein Gitter, und hinter dem Gitter stand ein Security-Mann. Der wollte Scheine sehen.
Der Kommissar hielt die Summe hoch, die er am Geldautomaten gezogen hatte. Sein abgewetzter dunkelblauer Anzug war perfekt. Richtige Spieler verschwendeten kein Geld für ihre Garderobe.
Der Mann schob das Gitter zur Seite und ließ ihn herein. Raupach gab ihm einen Zwanziger, er tat so, als sei er zum ersten Mal hier. Der Türsteher steckte das Trinkgeld ein und maß den Neuankömmling mit geübtem Blick. Befand ihn für geeignet. Forderte ihn auf voranzugehen.
Eine Wendeltreppe führte hoch in den ersten Stock, zu einem Gang, der aussah wie ein Hotelflur, mit einer Reihe Türen. Eine öffnete sich, als Raupach näher kam.
Wieder ein Security-Mann, der ebenfalls zwanzig Eier erhielt, ein vergleichsweise niedriger Satz. Dem Kommissar graute schon vor den Formularen, die er im Präsidium ausfüllen musste, um seine Kohle erstattet zu bekommen.
Er befand sich im Vorraum einer großzügigen Wohnung, direkt über der Bar. Seine Wertsachen wanderten in ein Körbchen, er wurde auf Waffen abgetastet. Nach dieser Prozedur durfte er das Pokerzimmer betreten.
Heruntergelassene Holzjalousien an den Fenstern. Viel Messing und Mahagoni. Grüne Lampenschirme, grüner Filz. Vier Personen saßen am Tisch. Raupach nannte seinen Vornamen und setzte sich auf einen freien Platz. Für seine Scheine bekam er Chips ausgehändigt.
Pause. Er wurde beobachtet, wie jeder Neue in der Runde. Seine Mitspieler stellten sich der Reihe nach vor.
Die beiden links von ihm sitzenden Männer kannte Raupach nicht – er hielt sie für ignorierbar, die üblichen Zocker, die eine illegale Spielhölle für verrucht hielten, mit einem Glas Whisky neben sich, Gier und Ungeduld hinter der coolen Fassade.
Gegenüber thronte Dastmalchian, der Mann, wegen dem er hier war –
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