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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Hilfe. Der Mann hob abwehrend die Arme, die Augen geschlossen.
    Das war gut, fiel Nicolas ein, auf diese Weise blieb er unerkannt. Aber diese Polizisten würden ihn sowieso nicht kriegen. Wo waren sie jetzt?
    Ein letzter Schlag auf die Nase, Nicolas spürte etwas Feuchtes, Blut, ja, das musste fließen.
    Auf der anderen Straßenseite gaffte jemand, eine Frau. Sie trat rasch zurück in den Hauseingang, aus dem sie gekommen war.
    Nicolas ließ den Mann liegen und ging mit zielstrebigen Schritten weiter, bog um die nächste Ecke, überquerte die Neusser Straße. Sein Heimweg.
    Vorsichtshalber steckte er die Hände in die Hosentaschen. Damit man nicht sah, was er damit angestellt hatte.
    Schade. Gern würde er es jetzt betrachten, echtes Blut, wie es in all die kleinen Furchen und Falten seines Handrückens kroch. Fremdes Blut. Frisches Blut. Er konnte es aus den Menschen herausprügeln, er war nicht mehr schutzlos, er hatte den ersten Schritt getan.
    Warum hatte er sich das nicht früher getraut? Tränen liefen ihm über die Wangen.
    Seine linke Hand fand das Schnitzmesser. An das hatte er gar nicht mehr gedacht.
     
    WIEDER IM AUTO, wieder auf der belebten Neusser Straße, unterwegs zur nächsten Befragung. Bewerben Sie sich für den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Gefahrenabwehr, Kriminalitätskontrolle, Opferschutz, ein krisensicherer Beruf, in dem man immer Gesellschaft hat. Irgendwann meinen Sie, jede arme Seele in der ganzen Stadt zu kennen. Jede Geschichte, die Ihnen aufgetischt wird, haben Sie schon hundertmal gehört. Sie fragen sich trotzdem weiter durch und haben die Hoffnung, dass irgendwann mal was Neues dabei ist. Was ganz anderes. Und manchmal haben Sie Glück, aber es ist nicht gesagt, dass Ihnen dieses Glück auch gefällt.
    Raupach war nach dem Besuch bei Dastmalchian um keinen Deut schlauer. Doch bei einer Todesermittlung gehörten solche kleinen Rückschläge dazu. Es war, als wand er sich durch eine Menschenmenge, trat Leuten auf die Füße oder streifte sie, spürte dabei fremden Atem, einen Ellbogen in den Rippen, Haare im Gesicht, hörte im Vorübergehen Gesprächsfetzen, viel Hass, viel Skepsis, wenig Vertrauen.
    Raupach mochte das. Irgendwann fand er die Antworten. Was trieb ihn sonst durch die Nacht?
    Nach ein paar hundert Metern sah er die Dreadlocks am Straßenrand.
    Er ließ die Scheibe auf der Beifahrerseite herunter und rollte langsam an Joe Kenter vorbei. Drehte die Radiomusik auf. Eine spanische Rockband sang davon, wie es ist, zwischen zwei Welten zu schweben, Entre dos tierras, dort gab es wenig Luft zum Atmen. Ansteckende Beats drangen vom Wagen nach draußen und mischten sich mit den Geräuschen eines Freitagabends in Köln.
    Ein kurzer Blickkontakt, Kenter hatte ihn gesehen. Raupach gab Gas und bog an der nächsten Seitenstraße rechts ab. Noch eine Abzweigung, dann blieb er in einer schlecht beleuchteten Parkbucht stehen und wartete auf den Mann mit der lädierten Nase.
    Sein Gewaltausbruch an dem Pokertisch hatte sich gut angefühlt, befreiend, vereinfachend. Es gab Verdächtige, die legten es in bestimmten Situationen darauf an, dass man die Beherrschung verlor. Raupach hatte diese Grenze nie überschritten, normalerweise legte er großen Wert darauf, dass eine Befragung gerichtsfest vonstatten ging, dass alles seine Ordnung hatte und jemand, den er als Täter überführt hatte, keine Möglichkeit bekam, sich auf juristischem Wege herauszuwinden. Doch seit sein Freund Felix an Leukämie gestorben war, standen seine Überzeugungen auf immer wackligeren Beinen. Die Grauzone war riesengroß, defekte Videokameras im Vernehmungsraum, eine verschwiegene Gasse nach der Festnahme, allerlei »Zwangsmittel«, die keine nachweisbaren Spuren hinterließen. Polizisten kannten viele Wege, um dem Steuerzahler Gerechtigkeit zu verschaffen.
    Kenter stieg in den Wagen. Raupach machte sich auf einen Faustschlag gefasst.
    Doch Joe kramte in seinen Taschen und zündete sich in aller Ruhe einen Joint an. Er inhalierte, dünne Rauchfäden sickerten aus seinen Mundwinkeln. Es schien ihm gutzugehen, abgesehen von der feuerroten Riesenerdbeere mitten in seinem Gesicht.
    »Hundert«, sagte er. »Als Trostpflaster. Und dabei kommst du noch billig weg.«
    »Dieser Fall macht mich arm.« Raupach gab ihm zwei Fünfziger und fuhr wieder los, Richtung Kempener Straße, da gab es weniger Passanten und Eckensteher. Kenter durfte nicht mit ihm zusammen gesehen werden. »Irgendwas

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