Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
“Gib mir Darren!”, brüllte er dann in den Hörer. “Und wo ist er?” Er legte auf und begann erneut zu wählen.
“Die können dir die Story nicht wegnehmen”, sagte sie. “Das wäre unfair nach all der Arbeit, die du reingesteckt hast.” Die Gleason-Story war sein Revier, und inzwischen erregte er damit sogar überregional Aufmerksamkeit. Man handelte ihn schon als Kandidaten für den Rosedale Award.
“Darren fragte, ob ich davon gewusst habe. Es klang, als ob ich ihm etwas verheimlicht hätte.” Ken fuhr sich durchs Haar. “Oh, nein, nicht die verdammte Mailbox”, sagte er ins Telefon. “Verdammt.” Ungeduldig wartete er darauf, eine Nachricht hinterlassen zu können. “Was zum Teufel soll das heißen, dass ich aus der Gleason-Story raus bin?”, schrie er. “Ruf mich zurück!”
Er schleuderte den Hörer aufs Bett und begann, mit der Faust auf den Fernseher zu hämmern, als ob er damit den Anfang der Nachrichten beschleunigen könnte. “Ich kann das nicht glauben. Als ich das Gericht heute verließ, hieß es, dass erst morgen das Strafmaß verkündet werden soll. Aber vielleicht habe ich mich auch verhört. Vielleicht habe ich’s verpasst. Verdammt!”
Corinne starrte auf das Display ihres Handys. “Ich habe fünf Nachrichten, alle von meinen Eltern.” Es musste wirklich etwas passiert sein. “Ich rufe besser mal an.”
“Psst.” Als der Nachrichtensprecher Paul Provost auf dem Bildschirm erschien, drehte Ken den Fernseher lauter.
“Guten Abend, Triangle”, sagte er und meinte damit das Raleigh-Durham-Chapel-Hill-Gebiet. “Nur wenige Stunden, bevor Timothy Gleason wegen des Mordes an Genevieve Russell und ihrem ungeborenen Kind im Jahr 1977 verurteilt werden soll, lässt eine schockierende Enthüllung Zweifel an seiner Schuld aufkommen.”
“Was?”
Ken starrte auf den Bildschirm.
Jetzt erschien ein kleiner Bungalow. Das Dach war feucht von Regen, die Blätter der Bäume daneben leuchteten in einem saftigen Rotton.
“Ist das …?” Corinne presste erschrocken ihre Hand auf den Mund. Sie wusste nur zu gut, wie die Luft in dem kleinen Garten vor dem Haus duftete. Schwer und süß in Erwartung des Herbstes. “Oh mein Gott.”
Eine Frau humpelte durch die Eingangstür auf die Veranda. Sie sah klein und müde aus. Und verängstigt.
“Was hat das verdammt noch mal zu bedeuten?”, fluchte Ken.
Corinne stand neben ihm und klammerte sich an seinen Arm, während ihre Mutter sich räusperte und zu sprechen begann.
“Timothy Gleason hat Genevieve Russell nicht ermordet. Ich kann es beweisen, ich war dabei.”
CEECEE
2. KAPITEL
L iebe CeeCee
,
nun bist du sechzehn, so alt wie ich, als ich mit dir schwanger wurde. Was immer du tust, das bitte nicht! Im Ernst, ich hoffe, du wirst viel klüger und vorsichtiger sein, als ich es damals war. Aber ich bedaure nichts. Ohne dich wäre mein Leben so leer gewesen. Du bist mein Ein und Alles, mein liebster Schatz. Vergiss das nie.
Chapel Hill, North Carolina
1977
“Guten Morgen, Tim.” CeeCee füllte seine Tasse mit Kaffee. Er mochte ihn schwarz und sehr stark, weshalb sie jeden Morgen einen Löffel Kaffeepulver mehr nahm. Die anderen Gäste hatten sich darüber bereits beschwert.
“Der Morgen war bis jetzt schon recht gut”, sagte er. “Aber dich zu sehen ist die Krönung des Ganzen.” Er saß an seinem gewohnten Platz, lehnte sich zurück und lächelte sie an. Dieses Lächeln brachte Eisberge zum Schmelzen. Kennengelernt hatte CeeCee ihn an ihrem ersten Arbeitstag vor über einem Monat, wo sie ihm prompt heißen Kaffee über die Hose gegossen hatte. Ihr war es furchtbar peinlich, doch er lachte bloß und gab ihr mehr Trinkgeld als das ganze Frühstück kostete. In diesem Moment hatte sie sich in ihn verliebt.
Viel wusste sie allerdings nicht über Tim. Vor allem sah er sehr gut aus. An diesem Morgen überfluteten Sonnenstrahlen die Nische, in der er saß, tanzten auf seinen blonden Locken und ließen seine Augen wie grünes Glas leuchten. Er trug Jeans und T-Shirt wie die meisten Studenten in North Carolina, allerdings ohne das übliche Logo irgendeiner Universität. Er rauchte Marlboros und sein Tisch war immer voller Bücher und Papiere. Es gefiel ihr, dass er so fleißig war. Und dass er ihr das Gefühl gab, hübsch, klug und begehrenswert zu sein. Für sie eine bisher unbekannte Erfahrung. Am liebsten hätte sie dieses Gefühl in eine Flasche abgefüllt und mit sich herumgetragen.
Sie zog Block und Stift aus ihrer
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