Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
Hosentasche. “Willst du das Übliche?”, fragte sie, dachte aber: Ich liebe dich.
“Natürlich.” Er nahm einen Schluck Kaffee, dann deutete er auf die Eingangstür des Coffeeshops. “Weißt du, dass ich jedes Mal, wenn ich durch die Tür komme, befürchte, du könntest nicht da sein?” Er sah sie an. “Ich mache mich immer sofort auf die Suche nach deinem Haar.” Sie hatte es noch nie geschnitten, es fiel in dunklen Wellen über ihren Rücken und sie wusste, wie sehr es ihm gefiel.
“Ich bin eigentlich immer da”, entgegnete sie. “Ich wohne hier praktisch.”
“Samstags hast du aber frei. Jedenfalls warst du letzten Samstag nicht da.”
“Und hast du mich vermisst?” Flirtete sie etwa mit ihm? Das wäre eine Premiere.
Er nickte. “Ja, aber ich habe mich auch gefreut zu sehen, dass du ab und zu frei hast.”
“Nun, nicht wirklich frei. Samstags gebe ich Unterricht.”
“Du arbeitest zu viel, CeeCee.” Sie liebte es, wenn er ihren Namen sagte.
“Ich brauche das Geld.” Sie blickte auf ihren Block, als hätte sie vergessen, warum sie ihn überhaupt in der Hand hielt. “Ich sollte besser deine Bestellung aufgeben, sonst kommst du zu spät zur Vorlesung. Bin gleich zurück.” Sie entschuldigte sich und lief durch die Schwingtür in die Küche.
Sofort umfing sie der Duft von Speck und verbranntem Toast. Ihre Kollegin und Mitbewohnerin Ronnie arrangierte gerade Teller mit Pfannkuchen auf einem Tablett.
“Weißt du, du solltest dich eigentlich auch noch um andere Tische kümmern”, zog sie CeeCee auf.
CeeCee klemmte die Bestellung an das Karussell für den Koch, dann wirbelte sie herum und sah ihre Freundin strahlend an. “Ich bin zu nichts zu gebrauchen, wenn er in der Nähe ist.”
Ronnie hievte das beladene Tablett auf ihre Schulter. “Heute sieht er aber auch besonders gut aus, das muss ich schon zugeben.” Sie drückte sich gegen die Schwingtür, um sie aufzustoßen. “Du solltest ihm erzählen, dass du gestern Abend verabredet warst oder so was.”
Ronnie, die viel mehr Erfahrung mit Männern hatte als CeeCee, gab ihr immer so merkwürdige Ratschläge. “Tu so, als ob du einen Freund hättest”, sagte sie einmal. Oder: “Benimm dich ab und zu gleichgültig.” Oder: “Lass
mich
ihn bedienen, damit er dich vermisst.”
Nur über meine Leiche, hatte CeeCee beim letzten Ratschlag gedacht. Ronnie war eine Schönheit. Sie sah aus wie Olivia Newton-John. Wenn sie zusammen die Straße entlanggingen, hatte CeeCee das Gefühl, unsichtbar zu sein. Sie war zehn Zentimeter kleiner und wenn auch nicht dick, so doch etwas kräftiger gebaut als ihre Mitbewohnerin. Und von ihrem Haar abgesehen konnte man sie leicht übersehen.
Allerdings war sie intelligenter, ehrgeiziger, verantwortungsvoller und viel, viel ordentlicher als Ronnie. Aber wenn ein Mädchen wie Olivia Newton-John aussah, war es den Typen herzlich egal, ob sie eine quadratische Gleichung lösen konnte oder einen geraden Satz zustande brachte. Tim war es dagegen bestimmt nicht egal. Natürlich konnte sie das nicht mit Sicherheit sagen, aber der Tim, von dem sie träumte, dem war es auf keinen Fall egal.
Sie kümmerte sich um die anderen Tische und besorgte frische Servietten für einige Verbindungsstudenten, die mit ihren Apfelzimttaschen den ganzen Tisch vollkrümelten. Diese Verbindungstypen waren zum Abgewöhnen. Sie stanken schon morgens nach schalem Bier, gaben kein Trinkgeld und behandelten sie wie eine Sklavin. Dann brachte sie einem älteren farbigen Ehepaar an Tims Nebentisch Tee. Der Mann hatte sehr kurzes graues Haar und trug eine dicke Brille. Sein Kopf und seine Hände zitterten unkontrollierbar, wahrscheinlich hatte er eine Art Schüttellähmung. Die Frau fütterte ihn mit ihren gichtigen Fingern und einer bewundernswerten Geduld.
CeeCee stellte die Teekanne ab und warf einen Blick in Tims Richtung. Er hatte seinen Kopf über ein Buch gesenkt und machte sich Notizen. Vielleicht bildete sie sich sein Interesse bloß ein. Vielleicht war er einfach nur ein freundlicher Kerl. Vermutlich hatten sie sowieso nichts gemeinsam. Sie war gerade mal sechzehn und er schon zweiundzwanzig. Sie hatte die Highschool erst vor vier Monaten beendet, während er schon im ersten Semester an der Uni studierte. Sein Hauptfach war Sozialpädagogik, während sie mit Sozialarbeitern höchstens mal hier im Coffeeshop zu tun hatte. Im Grunde war es genauso, als ob sie für einen Rockstar schwärmen würde.
Als sie ihm schließlich
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