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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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verübeln, daß sie Zuneigungsbeweise erheischt, wie frisch Verliebte es eben tun?
    Ich ging zu ihr und legte die Arme um sie. Ihre Arme legten sich über meine, um sie festzuhalten, und sie schmiegte sich an mich. Und so blieben wir, Wange an Wange, im gleichen Rhythmus atmend. Ein so schlichtes, stilles Vergnügen, so dicht an Glückseligkeit! Und doch fragte ich mich, ob es jemals Nicole hätte sein können, die ich auf diese Weise in meinen Armen hielt, wenn das Leben eine andere Wendung genommen hätte.
    Wie Charcot es niemals müde wurde, uns zu demonstrieren (wie ich höre, steht er jetzt in Mißkredit), ist der Geist ein paradoxes Instrument. Durch welchen Impuls haben sich meine Augen von der müßigen Betrachtung des Sonnenlichts auf dem Stamm der Linde draußen zu dem Tisch direkt vor uns bewegt? Wie kam es, daß mein Bewußtsein sich von entspannter Beschaulichkeit zu plötzlicher konzentrierter Betrachtung verengt hat? Mit Schrecken wurde mir auf einmal klar, daß mein Tagebuch offen auf dem Tisch vor uns lag. Wie lange hatte Estelle dort allein gesessen? Das wußte nur Gott allein! Lange genug, um es durchzublättern und zu meinem Geständnis von Stacias Mord zu kommen? Meine veränderte Stimmung mußte sich Estelle mitgeteilt haben, denn ich spürte, wie sie sich versteifte. (Warum so feinfühlig?
    Ein schlimmes Zeichen.) Ich rieb liebevoll meine Nase an ihr und spürte, wie sie wieder in meine Umarmung zurücksank. (Ein gutes Zeichen; sie war also nicht auf der Hut.)
    Unaufmerksam und abgelenkt hatte ich gestern nicht daran gedacht, ein Versteck für dieses Buch zu suchen. Aber die Tatsache, daß das Tagebuch für Estelle offen dagelegen hatte, mußte nicht von vornherein bedeuten, daß sie es auch tatsächlich gelesen hatte. Wie entscheidend es auch immer für mich war, für jeden anderen wäre es eher bedeutungslos, solange er nicht darin blätterte.
    Und so beruhigte ich mich; ich versuchte, die Panik aus meinem Kopf zu vertreiben und Estelle vorsichtig auszufragen, ohne mich zu verraten.
    »Ich habe dich vermißt«, sagte ich zu ihr. Sie schnurrte wie eine Katze, die gestreichelt werden wollte. »Bist du schon lange wach?«
    »Nein, nicht lange.«
    »Um wieviel Uhr bist du aufgestanden?« fragte ich.
    »Wer weiß? Du hast ja keine Uhren hier!«

    »Es steht eine auf dem Kaminsims im Salon. Du hattest ja noch keine Zeit, herauszufinden, wo alles steht. Ich möchte aber, daß du diesen Ort als unsere gemeinsame Wohnung betrachtest.«
    Ich fühlte, wie der Griff ihrer Hände an meinem Arm vor Freude fester wurde.
    »Meinst du das wirklich?«
    Ich gab ihr einen Kuß. »Ja, natürlich, Liebling.«
    Sie seufzte. »So hast du mich noch nie genannt.«
    »Jetzt sind wir zusammen, ich kann sagen, was ich fühle.«
    Es war ein gutes Zeichen, daß es mir gelungen war, das Gefühl von Intimität wiederherzustellen. Wenn sie glaubte, sie befände sich in Gegenwart eines Mörders, so zeigte sie jedenfalls keinerlei Anspannung oder Furcht. Und doch erinnerte ich mich daran, daß Estelle eine gute Schauspielerin war.
    »Ich mußte mich ganz schön anstrengen, dich zu finden«, neckte ich sie und wiegte sie in meinen Armen.
    »Vielleicht wollte ich nicht, daß du mich zu leicht findest«, sagte sie geziert im gleichen Ton.
    »Und warum nicht?«
    »Darum.«
    »Warum?« Als sie nicht antwortete, mußte ich noch einmal fragen. »Also, warum denn nun?«
    Sie wand sich verlegen in meinen Armen. »Frag nicht«, sagte sie. Wenn das gespielt war, dann war es eine meisterliche Darbietung.
    »Na schön«, sagte ich zärtlich. »Du brauchst es mir nicht zu sagen, wenn du nicht willst.«
    Ich fuhr fort, sie langsam an den Ohren und im Nacken zu küssen, nach einem intuitiven, erotischen Plan der Anatomie, den ich vom Verstand her nicht begreife.
    »Also gut, ich sag es dir«, sagte Estelle. »Wenn du willst.«
    »Nein, ich will nicht, daß du es mir sagst.«
    »Warum nicht?« Sie drehte sich erstaunt halb herum, aber ich hielt sie fest.
    Ich zog es vor, Wange an Wange zuzuhören, mich auf den reinen Ton zu konzentrieren. Wie Gregor von seiner Erfahrung als Beichtvater zu berichten weiß, können Gesichter aufgesetzt sein, aber die Stimme läßt sich nicht so leicht verstellen.
    »Weil ich nicht will, daß du das Gefühl hast, ich befehle über dich.«
    Eine Weile war sie still, dachte darüber nach. »Deshalb wollte ich, daß du kommst, um mich zu suchen, damit du mich nicht für selbstverständlich hinnimmst.«
    »Das werde

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