Das geheime Leben des László Graf Dracula
von zerdrückten Blüten und dem aufpeitschenden Stechen der Dornen, die unter die Haut getrieben wurden. So brachte ich sie schließlich mit einem gellenden Aufschrei wieder zum Leben.
Behutsam löste ich mich von ihr. Eine Rose stak noch mit einem Dorn in meiner Brust, und ich zupfte ihn heraus. Ich sah, daß Estelle Schmerzen litt. Ich begann die zerknickten Rosen eine nach der anderen von ihrem Körper zu klauben, wie Verbandstreifen von einer Wunde.
»Wie konntest du das tun?« fragte sie mit klagender Stimme. Sie sah mich nicht an, und sie schien blaß und verschreckt.
»Das gehört mit zu dem Spiel«, sagte ich. »Ich wollte dir den Spaß nicht verderben.«
»So war es aber nicht gemeint.« Aus ihrem Tonfall ließ sich nicht schließen, ob sie in Tränen ausbrechen oder sich schmollend zurückziehen würde.
»Aber es war doch sehr gelungen «, versicherte ich ihr. »Wirklich, es war großartig. Du warst einfach wunderbar. Zuerst habe ich gar nichts begriffen – du hast mich richtig zum Narren gehalten. Ich dachte, du wärst tot!«
»Und jetzt tut es weh!«
»Das beweist wenigstens, daß du am Leben bist.«
»Bitte tu etwas!« flehte sie.
Ich schob die plattgedrückten Blätter auseinander und stellte fest, daß sich ein Dorn durch die weiche weiße Haut der einen Brust gebohrt hatte.
»Sei tapfer«, sagte ich und zog mit unendlicher Vorsicht den Dorn heraus. Er war krumm wie ein türkischer Dolch. Ich hörte, wie sie die Luft durch die Zähne zog, und dann machte sie sich steif, zuckte nur zusammen, als die Spitze hervorkam. Ein Tropfen dunklen Blutes quoll heraus und sammelte sich, doch kurz bevor er in die Kuhle zwischen ihren Brüsten floß, beugte ich mich über sie und küßte die Stelle, saugte den Tropfen auf.
»Schau nur, wie ich zugerichtet bin!« schimpfte Estelle ziemlich aufgebracht.
Tatsächlich sah man allerlei Kratzer und Flecken, wo die Blumen so grob gegen ihre Brust gedrückt worden waren. Aber mein Mund war mit ihrer salzigen, metallischen Essenz gefüllt, und als ich sie herunterschluckte, schwanden mir fast die Sinne.
»Was werden bloß die Leute sagen?« jammerte Estelle.
»Aber wer kriegt es denn schon zu sehen?«
»Luzi, zum Beispiel.«
»Wieso?«
»Na, wenn sie mir morgens das Bad richtet.«
»Und... gibt es noch andere?«
»Natürlich nicht. Wen sollte es denn sonst noch geben?«
»Nun, für Luzi wird dir schon eine Ausrede einfallen. In dieser Hinsicht bist du doch recht erfinderisch.«
»Wie meinst du das?« Sie hatte sich mir zugewandt, lächelte jetzt fast schon in Erwartung eines Lobs. Sie ist sehr stolz auf die Fähigkeit, ihre zusammenfabulierten Geschichten aus dem Stegreif jedweder Situation anzupassen und betrachtete ihr Improvisationstalent als notwendige Komponente ihres schauspielerischen Repertoires, ist sich jedoch auch bewußt, daß ihre spezielle Begabung sich nur unwesentlich von dem landläufigeren und weit weniger lobenswerten Hang zum Lügen unterscheidet.
»Du hast da eine echte Gabe«, sagte ich zu ihr, erleichtert, daß sie mir nicht schmollte. »Am besten hat mir in deinem Brief die Passage gefallen, die von den beiden Mädchen handelt.«
»Wieso hast du davon gehört?«
»Deine dankbaren Eltern haben Pater Gregor den Brief gegeben, damit er ihn mir vorlesen konnte.«
Estelle legte den Kopf schief und überlegte einen Moment. Alles in allem schien sie ganz angetan davon, daß ich Gelegenheit gehabt hatte, ihre literarischen Bemühungen zu würdigen.
»Hat er dir den Brief vorgelesen, in dem Anna und Sara Windpocken bekommen und ich sie pflege?«
»Nein«, sagte ich, bereits mit einer unguten Vorahnung.
»Sie waren richtig krank. Sogar Dr. Bernhardt von der Botschaft machte sich Sorgen. Ich habe eine ganze Nacht bei ihnen durchwacht und sie immer wieder kalt abgerieben, um das Fieber zu senken, aber ich hab's gern getan, es sind ja so liebe kleine Mädchen, so rührend anhänglich. Das Traurige war nur, daß sie zu krank waren, um in die Oper zu dürfen, da blieb Madame eisern, obwohl es ihnen schon wieder viel besser ging und sie sich schon seit Wochen drauf gefreut hatten.«
»Estelle«, versuchte ich sanft ihren Redefluß zu unterbrechen.
»Aber Madame meinte großzügigerweise, ich sollte wegen der Krankheit ihrer Kinder nicht darauf verzichten müssen, und trug Luzi auf, an dem Abend bei ihnen zu bleiben, damit ich mitgehen konnte.«
»Manchmal kommt es mir vor, als ob du diese Geschichten selber glaubst.«
»Aber sie sind
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