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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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zum Teil auch wahr. Das ist doch der Trick. Darin liegt ja gerade die Kunst der Schauspielerei: Man geht von irgend etwas aus, das wahr ist – sei es nun irgendein Gefühl oder etwas, das man gelesen hat –, und dann entwickelt man die Geschichte von da an weiter.«
    »Aber gerätst du dabei nicht manchmal ein wenig durcheinander?«
    »Durcheinander? Wieso?«
    »Ich meine, fällt es dir nicht manchmal schwer, Wahrheit und Phantasie auseinanderzuhalten?«
    Estelle setzte eine feierliche Miene auf. »Und wer bestimmt, bitte schön, wo das eine aufhört und das andere anfängt?«
    Das war eine jener Fragen, die für Zwanzigjährige mit tiefgründigem philosophischem Nachhall behaftet sind; mir für meinen Teil diente sie nur, wie fernes Wetterleuchten, zur Erhellung der Kluft über zwei Jahrzehnte, die uns trennt. Dennoch hatte ich mich einstmals mit begeistertem Eifer in die Geheimnisse der menschlichen Psyche versenkt, um das Phänomen der Magie zu ergründen. Und was ist Magie anderes als jener Zustand des Erlebens, bei dem die Phantasie zur Realität wird? Die Skepsis ist eine Art Schwindsucht, die Körper und Geist intakt läßt, während sie heimtückisch die Seele aushöhlt.

    Vielleicht ist es für mich schon zu spät, vielleicht bin ich schon vom Gift des Zweifels zerfressen.
    Ich gab keine Antwort, und sie hielt mein Schweigen wohl für den Beweis, daß sie mich dazu gebracht hatte, meine Vorurteile zu überdenken.
    »Bist du dir so sicher, daß du es weißt?« fragte sie, in der Annahme, ihre rhetorische Überlegenheit damit hervorzustreichen.
    »Ich glaube, ja«, erwiderte ich.
    »Aber das ist doch genau der Punkt: Wenn du nur glaubst, daß du sicher bist, dann kannst du nicht völlig sicher sein – und das läßt Raum für einen klitzekleinen Spalt, durch den der Zweifel eindringen kann.«
    »Sind das deine eigenen Gedanken?«
    »Aber natürlich!« Sie lachte melodisch, liebevoll, als wäre ich ein Tölpel, der der tröstlichen Versicherung bedurfte, daß die Welt ganz einfach und übersichtlich sei. »Es müssen ja wohl meine eigenen Gedanken sein, sonst könnte ich sie dir doch jetzt nicht mitteilen! Manchmal bist du wirklich zu albern, László! Ich weiß, du möchtest mich glauben machen, daß du so was mit Absicht sagst, aber...«
    »Mit wem redest du sonst noch?«
    »Meistens mit Luzi.«
    » Luzi ?«
    »Warum nicht? Sie kann gut zuhören. Und sie ist nicht dumm.«
    »Aber du kannst doch nicht mit dem Dienstmädchen reden.«
    »Warum denn nicht?«
    »Herrgott, eben weil sie ein Dienstmädchen ist, deshalb!«
    »Aber mit irgend jemandem muß ich doch reden, sonst werde ich noch verrückt!«
    »Es muß doch...« Ich suchte hilflos nach irgendeiner Lösung. »Es muß doch wohl noch andere in deiner Lage geben«, schloß ich lahm.
    Estelle sagte nichts.
    »Ich komme ja auch nur drauf, weil du in deinem Brief... ich meine, diese Ausstellung von Munkácsy, die du da beschreibst... es hörte sich an, als hättest du jemanden gefunden, der dich herumführt. «
    »Und wer sollte das sein?« fragte sie schelmisch.
    »Keine Ahnung. Wer weiß? Ein alter Freund vielleicht, den du zufällig getroffen hast, oder sonst jemand.«
    »Nun, ich bin hier einsam, und wenn du den nächsten Brief liest, wirst du erfahren, daß Madame mir eine Woche freigegeben hat, damit ich meine Familie besuchen fahren kann.«
    »Meinst du nicht, daß du das zuerst mit mir hättest besprechen sollen?«
    »Ach ja? Und wieso? Ich finde, das ist eine Sache, die ausschließlich mich und Madame betrifft.«
    Wahrscheinlich will Estelle mich bloß necken. Sie hat so etwas Verspieltes, das ich sehr anziehend finde. Trotzdem habe ich das unbehagliche Gefühl, daß die ganze Geschichte mir allmählich außer Kontrolle gerät – falls ich sie überhaupt je unter Kontrolle gehabt habe. Ich werde den Verdacht nicht los, daß ich ausgenutzt werde. Aber ich habe keine Lust, mich zum Narren halten zu lassen.

    16. SEPTEMBER 1887, MORGEN

    Heute soll Estelle nach Hause kommen. Sie hat mich in irritierender Ungewißheit darüber belassen, wann wir uns werden treffen können, aber wahrscheinlich zeigt sie in dieser Hinsicht mehr Verstand als ich. Wir sind durch die relative Anonymität von Budapest verwöhnt, wo wir uns jederzeit die Freiheit nehmen konnten, durch die Vaci-Straße zu bummeln und uns die Schaufenster anzusehen, gemütlich in Kaffeehäusern herumzusitzen oder bei Wampetics im Stadtpark zu Mittag zu speisen und von der Terrasse aus das

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