Das geheime Leben des László Graf Dracula
daher bezog ich etwa in der Mitte des Bahnsteigs Posten, nachdem ich Frau Theissen im Vorbeigehen mit einem kurzen Tippen an die Hutkrempe zugenickt hatte. Und schon kam der Zug um die Kurve gedampft und hielt mit dem Erster-Klasse-Abteil zu meiner Rechten und den Wagen der zweiten Klasse zu meiner Linken. Fast noch bevor der Zug zum Stillstand kam, schwang die Tür auf, und Oberst Rado sprang herunter. Er ist ein agiler kleiner Mann, stets auf dem Quivive, und er spähte nach beiden Seiten den Bahnsteig entlang, auch wenn er mich sofort, als der Wagen vorfuhr, entdeckt hatte.
»Höchst anständig von Ihnen, sich selbst herzubemühen«, sagte er barsch und schüttelte mir mit eisernem Griff die Hand.
»Aber nicht doch. Ich bin froh, daß Sie den weiten Weg auf sich genommen haben.« Ich winkte Jakob, in den Wagen zu steigen, um das Gepäck zu holen, doch der Oberst hob abwehrend die Hand.
»Habe meinen eigenen Kofferträger dabei«, erklärte er. »Hoffe, das ist Ihnen recht? Ich glaube, Ihr Bursche wird prächtig mit ihm auskommen. Natürlich kennt er sich nicht im Revier aus, aber er hat eine ausgezeichnete Spürnase.«
»Gewiß«, stimmte ich etwas zerstreut zu, da ich über Rados Schulter hinweg die ganze Zeit nach Estelle Ausschau hielt.
»Er ist hinten in der Dritten.«
»Gut. Dann gehen wir doch mal hin, damit Jakob ihm tragen helfen kann.«
»Prächtig. Er hat die neue Mauser im Gepäck. Dachte mir, die würde Sie vielleicht interessieren.«
»Das Repetiergewehr?« fragte ich zweifelnd und sah, daß Jakob angewidert den Kopf abwandte.
Wir schlenderten an den beiden Zweiter-Klasse-Wagen entlang. Die meisten Reisenden waren schon ausgestiegen, und die Gepäckträger machten die Türen wieder zu. Estelle war nirgends zu sehen. Die Theissens standen vor uns und verrenkten sich die Hälse, um über die Menschenmenge hinwegzusehen, die sich vor den Dritter-Klasse-Wagen staute.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen?« fragte Rado. Er fixierte mich mit seinem befehlenden Blick, zwang mich, ihm meine Aufmerksamkeit zuzuwenden.
»Nein, im Prinzip nicht.«
»Gut«, nickte er, als hätte ich eben eine Prüfung bestanden. »Manche Hinterwäldler finden Repetiergewehre unsportlich.«
»Hauptsache, der Hügel wird gestürmt«, sagte ich. Das war eine Redewendung, die ich mal von Georg gehört hatte.
»Recht so!« Rado klopfte mir auf die Schulter, so daß ich Mühe hatte, mich nach Estelle umzusehen. Seine Jovialität wirkte ein wenig aufgesetzt, da er sich sonst eher reserviert und zugeknöpft gibt. »Wir werden aus Ihnen noch einen richtigen Kavalleristen machen!« erklärte er.
Jetzt sah ich Estelle aus dem Wagen steigen, direkt in die Arme ihrer Mutter.
Warum war sie dritter Klasse gefahren, nachdem ich ihr eigens eine Fahrkarte zweiter Klasse gekauft hatte?
Arpad, der Gepäckträger des Oberst, ein kräftiger, ziemlich dunkelhäutiger Bursche mit einem phantastischen Schnurrbart, stand abseits vom Gewühl auf dem Bahnsteig. Er sah unbehaglich aus in Zivil und ließ verlegen die Schultern hängen. Wahrscheinlich ist er Feldwebel in Rados Regiment. Als wir auf ihn zukamen, schien es mir, als schüttelte Arpad auf eine unausgesprochene Frage von Rado hin den Kopf, aber es ist gut möglich, daß ich mich getäuscht habe, weil die Bewegung kaum zu erkennen war, und im übrigen war ich durch andere Dinge abgelenkt.
Zum Glück machte sich Rado sofort mit dem Gepäck zu schaffen, indem er den Dienern penible Anweisungen gab, wie jedes Teil aufzuladen sei; so konnte ich mich ein paar Schritte davonstehlen, um Estelle besser zu sehen. Sie stand noch mit ihren Eltern an der Wagentür und blickte hinauf ins Coupe. Ihre Augen strahlten, und ihre Wangen waren vor freudiger Erregung gerötet. Meine Meißener Schäferin! Ich weiß selbst nicht recht, warum diese Augenblicke, in denen ich sie beobachte, ohne daß sie etwas von meiner Gegenwart ahnt, für mich so kostbar sind. Doch meine Rührung währte nicht lange. Eine Hand reichte ihre Reisetasche durch die Tür, und Theissen trat vor und hob sie herunter. Ich dachte, sie wartete noch auf weiteres Gepäck, aber statt dessen stieg ein junger Mann aus. Es war derselbe Bursche, mit dem Estelle zusammen gereist war, als sie das erste Mal in Budapest ankam. Erst jetzt hatte ich Gelegenheit, ihn richtig in Augenschein zu nehmen, als er sich umdrehte, um Theissens Hand zu schütteln. Er war ein gutaussehender Kerl mit sehr selbstbewußtem Auftreten.
Da ich ihn das letzte
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