Das geheime Leben des László Graf Dracula
Defilee der Moden zu beobachten.
Solche Freiheit ist in unserer Stadt undenkbar, wo man jede meiner Bewegungen verfolgt und wo auch Estelle allgemein bekannt ist, ja geradezu berühmt wegen ihrer Erfolge als Laiendarstellerin. Sicher haben die jungen Männer ihr eifrig den Hof gemacht, aber ich sehe keine Anzeichen dafür, daß sie irgendeinem von ihnen ihre Gunst erwiesen hat. Sie sagt, sie würde lieber sterben, als für den Rest ihres Lebens in einem Provinznest die biedere Ehefrau zu spielen, und sie läßt durchblicken, daß sie sich für etwas Glanzvolleres aufgespart hat, als unser heimisches Feld-Wald-und-Wiesen-Gewächs ihr zu bieten vermag.
Aber ich kann ihr nicht fernbleiben, so unvernünftig es auch sein mag, uns an den gleichen Orten sehen zu lassen. Die Leute sind nicht dumm und werden früher oder später zwei und zwei zusammenzählen, hat sie mich gewarnt. Doch ich bin wie besessen und getrieben von der Gier, sie auf möglichst perverse Art zu besitzen. Ich denke an Lothar, und mich schaudert bei der Vorstellung, daß Nicole ein Leben lang die Übergriffe dieses verderbten Burschen ertragen muß.
Ich kenne seine widerwärtigen Phantasien, denn auch ich werde allmählich zu einem solchen Subjekt. Meine Gedanken kehren immer wieder zu Estelles gestelltem »Tod« zurück und zu der brünstigen Raserei, mit der ich sie unter dornigen Rosen begrub. Auch an Stacia denke ich immer wieder, falls man es denken nennen kann. Es sind eher Erinnerungsbilder, so klar und plastisch, als wären sie gegenwärtig, die unvermittelt aus dem Bewußtsein aufsteigen. Es sind Eruptionen niedrigster Triebe, der üble Auswurf aus dem Bodensatz der Psyche.
Öfter noch sind es Träume, Nachtmahre, die man im Erwachen vergißt, bis auf eine unbestimmte, nachhaltige Beklemmung, so fremd und verwirrend, als sei es das – gleichsam ausgeliehene – Erlebnis eines anderen, das einem nachhängt.
Ich habe zunehmend das Gefühl, daß etwas Fremdes in mir lauert. Wenn ich es der Syphilis zuschreiben könnte, die sich in den Kammern meines Hirns eingenistet hat, wäre ich schon erleichtert. Ja, wenn es nur ein Parasit wäre, der sich von Zeit zu Zeit in mir regt – aber ich weiß, daß ich es bin, der da über seiner Schlangenbrut wacht.
Oberst Rado kommt mit dem gleichen Zug an wie Estelle. Als Zeichen meiner Hochachtung werde ich persönlich am Bahnhof sein, um den Oberst zu empfangen; er mißt solchen Gesten große Bedeutung bei. Ich habe beschlossen, Estelle nichts davon zu sagen, um sie zu überraschen: Sie schätzt unerwartete Begegnungen, weil sie ihr die Gelegenheit geben, ihre schauspielerischen Fähigkeiten im wirklichen Leben einzusetzen.
Rado hatte sich mehr oder weniger selbst für ein paar Tage zum Jagen eingeladen, als die Rotwildsaison begann. Das scheint mir irgendeine Art Vorwand zu sein, da er auf seinen eigenen ausgedehnten Ländereien, die von Budapest aus viel bequemer zu erreichen sind, ausgezeichnete Jagdbedingungen hat. Er macht großes Aufhebens um unsere Freundschaft, obwohl er mir nicht wie ein Mann vorkommt, der viel Wert auf private Bindungen legt. Für gewöhnlich läßt er es bei einer oberflächlichen militärischen Kameradschaft bewenden, die er vermutlich lieber als »Loyalität« bezeichnet, ein Wort, für das er oft Verwendung findet. Ich hätte es bequemer gefunden, ihn einfach auf ein Glas Wein in der Stadt zu treffen, wenn er irgendeine Angelegenheit mit mir zu besprechen hatte. Aber nein, der Oberst bestand mit fast unhöflichem Nachdruck darauf, mich in meiner heimatlichen Umgebung aufzusuchen. Er ist unverheiratet, worüber Elisabeth enttäuscht ist, da sie sich nach Gesellschaft sehnt.
NACHMITTAG
Das Treffen am Bahnhof war ein Fiasko. Aber Gott sei Dank ging ich hin.
Wenigstens weiß ich jetzt, woran ich bin.
Im Unterschied zu den ständig verspäteten Zügen in Richtung Stadt ist der Zug aus Budapest fast immer pünktlich. Also war ich genau zur planmäßigen Ankunftszeit am Bahnhof, um nicht unnötig auf dem Bahnsteig herumzustehen und mühsam mit den Theissens Konversation machen zu müssen. Alles hat seine Grenzen, auch der Aufwand an Schauspielerei, den man aus diplomatischen Gründen zu leisten gewillt ist; und wer konnte ahnen, was Estelle ihren Eltern schon wieder an neuen Verwicklungen aufgetischt hatte, über die ich hätte Bescheid wissen sollen?
Oberst Rado würde im Erster-Klasse-Abteil vorn im Zug reisen, und ich hatte Estelle eine Fahrkarte zweiter Klasse besorgt,
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