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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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nur noch ein lebloses Gewicht und wäre in den Schlamm gestürzt, wenn ich sie nicht aufgefangen und behutsam auf den Boden gebettet hätte, wo das Gras trocken war. Ich beugte mich nieder, um Estelle einen Abschiedskuß zu geben, ohne Gefühl auf den Lippen. Ich war leer und betäubt. Der Rausch war zu schnell vorübergegangen. Ich fühlte mich betrogen.
    Schon begann das Blut zu schimmernden Klümpchen zu gerinnen, und rings um mich her ging das Leben weiter wie gewohnt: Krähen krächzten am Waldrand, Kuhglocken bimmelten gedämpft, der Fluß plätscherte vor sich hin, die Farben der Umgebung lösten sich im Grau der Dämmerung auf, unsichtbares Kleingetier raschelte im Gebüsch. Der Moment war zu kurz gewesen. Es war, als ob man einen Felsblock in den Fluß schleuderte: ein heftiges Aufklatschen, dann schließt sich das Wasser darüber. Das Leben fließt weiter.
    Sie hatte eine Brosche getragen, die ich ihr in Budapest gekauft hatte, und ich nestelte sie ihr von der Bluse, um sie zur Erinnerung zu behalten. Ich habe sie jetzt vor mir liegen, ein Emailleschmetterling in japanischem Stil. Seltsam, irgendwie vermisse ich sie sogar, auf eine etwas verschwommene, halbherzige Weise. Ich bin noch ganz benommen von dem, was da geschehen ist. Mein Verstand weigert sich zu begreifen, was ich getan habe.

    I2

    22. SEPTEMBER 1887, MORGEN

    as habe ich getan! Es ist unnatürlich, daß alles so weiterläuft wie zuvor.
    W Brod hat mich wie gewöhnlich geweckt, indem er die Vorhänge in meinem Schlafzimmer zurückzog. Ich blieb wie erstarrt auf der Bettkante sitzen und betete, das Ganze möge nur ein Traum gewesen sein. Er hielt mir meinen Morgenrock hin, und ich schlüpfte mechanisch in die Ärmel. Dennoch ging alles seinen gewohnten Gang. Mein Rasierwasser dampfte in der eisigen Luft, das Handtuch war angenehm warm. Brod seifte mein Kinn schweigend ein und rasierte mich routiniert mit seiner flinken, tanzenden Klinge, die zu fürchten ich mir längst abgewöhnt habe.
    Beim Rasieren befleißigte sich der gute Brod einer geradezu mörderischen Gewissenhaftigkeit. Während er über mich gebeugt stand, sah ich ihn forschend von der Seite an, solange ich diesen unbequemen Blickwinkel ertragen konnte, doch ich entdeckte keinerlei Veränderung in seiner unbewegten Miene, nicht den Hauch einer Ahnung, daß der Mann, der da so gefügig unter der scharfen Messerklinge saß, sich über Nacht verändert hatte. Zuletzt schloß ich die Augen und wurde prompt von fürchterlichen Gewissensbissen geplagt. Alleingelassen mit meiner Seele wurde mir erst der ganze Schrecken meiner Tat bewußt. Ich hatte Estelle getötet! Wenn Brod mich in diesem Augenblick ins Jenseits befördert hätte, wäre es mir nur gerecht erschienen.
    Zum Frühstück brachte mir Trudi meine üblichen Spiegeleier und Brötchen.
    Wie üblich äugte sie kurz zu mir hoch, während sie ihren Knicks machte, ein scheuer Blick wie von einem Vogel, der einen Brotkrumen stiehlt. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln, doch ihr Blick war nicht länger oder verstohlener als sonst.
    Ich hatte keinen Appetit und konnte nichts essen. Elisabeth nahm ihr Frühstück in ihrem Zimmer ein, und ich war ihr dankbar dafür, weil ich ihre Güte jetzt nicht ertragen könnte, nicht einmal den Gedanken, daß sie mich ansieht.
    Ich bin abscheulich. Meine Scham ist bodenlos. Ich wünschte, ich käme endlich auf Grund, aber ich falle, falle immer noch. Wenn es irgendeine Sühne für meine Tat gibt, will ich sie auf mich nehmen. Innerlich ducke ich mich angstvoll, in Erwartung eines göttlichen Vergeltungsakts; vielleicht in Gestalt eines Meteors, der bereits durch die Tiefen des Weltalls herbeirast, um zu festgesetzter Stunde durch das Schloßdach zu krachen und mich zu zermalmen.
    Er sei mir willkommen. Ich verdiene nichts anderes. Aber Gottes Wege sind unerforschlich. Meine Zeit wird kommen.
    Und Estelle, meine süße Estelle, so voller Lebensfreude, hingemeuchelt.
    Durch meine Hand.

    VORMITTAG

    Offenbar soll ich mich demnächst am Tatort blicken lassen. Und schon erscheint mir die Idee der göttlichen Vergeltung doch recht fragwürdig. Zu meiner Schande muß ich zugeben, daß ich der Verhaftung unbedingt entgehen möchte.
    Ich empfinde es als Erniedrigung, wie ein gewöhnlicher Verbrecher nur noch eins im Sinn zu haben: Wie stelle ich es an, mich dem Urteilsspruch zu entziehen.
    Eine Abordnung der Honoratioren unserer Stadt, ehrerbietig, aber beharrlich, hat mich um eine Audienz ersucht.

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