Das geheime Leben des László Graf Dracula
von ihr zu erhaschen, und verhedderte sich in einem Brombeerbusch. Ich hatte schon Angst, er könnte mich entdecken, während er sich loszumachen versuchte, doch er trollte sich alsbald. Es war der junge Bursche vom Bahnhof, ganz ohne Zweifel.
Er war weg, und endlich war ich mit Estelle allein. Wehmütig summte sie eine kleine Melodie vor sich hin. Ich kroch näher heran, so daß ich sie durch die Blätter erspähen konnte. Sie stand an einen Ast gelehnt und neigte den Kopf erst auf die eine, dann auf die andere Seite, während sie irgend etwas in ihrer Hand betrachtete, eine Blume vielleicht, die er ihr mitgebracht hatte. Überlegte sie gerade, für wen sie sich entscheiden sollte, ob für den einen oder den anderen oder gar beide?
Estelle verweilte noch ein wenig auf der kleinen Lichtung. Sie wollte dem jungen Mann wohl einen Vorsprung lassen, damit sie nicht zusammen gesehen wurden, wenn sie über die Brücke kamen. Ich wartete, mit dem Vorsatz, sie an dem Brombeerbusch abzufangen, doch als sie sich weiter Zeit ließ, packte mich der Drang, meine Geschicklichkeit als Jäger zu erproben, indem ich mich so dicht wie möglich an sie anschlich.
Estelle stand an der anderen Seite der Lichtung, die kaum mehr als ein vom Buschwerk umgebener Flecken Sumpfgras war, wo der Weg eine Biegung machte. Sie trug ein blaues Cape mit zurückgeschlagener Kapuze, und ich entsinne mich noch, daß mir dieses Himmelblau irgendwie anmaßend vorkam, da es der gleiche Farbton war, den die florentinischen Meister der Renaissance für den Mantel der Unbefleckten Jungfrau verwendeten. In der Hand hielt sie eine bunte Papierblume, wie die Zigeuner sie auf Jahrmärkten feilbieten. Die gesummte Melodie verebbte in einem Seufzer, und plötzlich hob Estelle aufhorchend den Kopf. Obwohl ich kein Geräusch verursacht hatte, mußte sie instinktiv die Nähe eines menschlichen Wesens gespürt haben, denn sie blickte sich unsicher nach allen Seiten um. Vielleicht hatte ein Vogel weiter hinten im Dickicht der Flußböschung geraschelt; ich hatte jedenfalls nichts gehört. Meine Aufmerksamkeit war allein auf Estelle gerichtet.
Sie schien sich zu fürchten. Während sie sich bückte, um durch die Büsche zu spähen, tauchte ich lautlos hinter ihr auf. Ich hätte ihr auf die Schulter tippen können, aber ich zog es vor, in genüßlicher Vorfreude darauf zu warten, daß sie sich umdrehte und mich dort fand, wo gerade eben noch niemand gewesen war.
Sie richtete sich langsam auf, wandte sich halb um und wäre mit mir zusammengeprallt, wenn ich nicht einen Schritt zurückgewichen wäre.
»Du!« rief sie bestürzt.
Sie schien drauf und dran, vor Schreck in Ohnmacht zu fallen, und ich ergriff sie bei der Taille, als die Knie unter ihr nachgaben. Sie sackte in meine Arme, und ich hielt sie an mich gedrückt. So blieben wir einen langen Augenblick stehen, ihr Kopf an meiner Brust, gemeinsam atmend, in seltsam trügerischer Eintracht. Schließlich fing sie sich wieder, legte den Kopf in den Nacken und sah zu mir hoch. Wie mußte es in diesem Kopf geschwirrt haben, während sie eilig nach Ausreden suchte, mit denen sie mich abzuspeisen gedachte.
»Mir schien...«, begann sie und deutete mit einer matten Geste zur Flußböschung hinüber.
»Was denn, mein Liebes?« murmelte ich.
»Mir schien, da wäre jemand. Ich dachte, jemand könnte uns hier belauschen.«
»Jemand, der dir nachspioniert? Wo?«
Ich ließ zu, daß sie sich in meinen Armen umdrehte. Sie lehnte sich ganz von selbst an mich, aus freien Stücken, mit dem Rücken an meiner Brust, so daß ich über ihre Schulter sehen konnte. Ich atmete den würzigen Duft ihrer Haare ein.
Zusammen starrten wir m jene dunklen, nebelverhangenen Schatten. Mit der linken Hand strich ich ihr wie liebkosend über die zarte Kehle.
»Nein«, hauchte sie, obwohl sie doch nicht ahnen konnte, was ich vorhatte.
Ich preßte mich mit den Hüften an sie, hielt sie am Kinn fest und drehte ihr den Kopf zur Seite, während ich sie sachte zu mir zurückbog. Im allerletzten Moment bäumte sie sich auf, als wollte sie mich abschütteln, aber der grausame Dorn des türkischen Dolches durchbohrte bereits ihre Kehle. Ich stieß zu und zog ihr die Klinge durch die Gurgel, und das Blut schoß wie eine Fontäne hervor. Ich empfand ein unbeschreibliches Triumphgefühl, eine namenlose Verzückung, die sich nur mit dem Ausdruck auf den Gesichtern von Heiligen im Moment ihres Martyriums vergleichen läßt.
Dann, ganz plötzlich, war sie
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