Das geheime Leben des László Graf Dracula
über deren Herkunft geben.« Er klang enttäuscht.
»Verstehe«, sagte ich milde.
»Sie hat hier gelauert«, sagte er.
»Estelle?«
»Nein, die Mörderin.«
»Sie bestehen weiter darauf, daß es eine Frau gewesen sein muß.« Ich wußte nicht, wie ich ihn von dieser Spur abbringen und auf die weitaus plausiblere Möglichkeit lenken sollte, die der kräftige Sachse darstellte, mit dem sie aus Budapest angereist war. »Ich nehme an, es hätte auch eine Komplizin sein können«, bot ich ihm als Kompromiß an.
»Oder ein Mann mit sehr kleinen Füßen, soviel will ich Ihnen zugestehen.«
Elisabeth und ich sitzen uns bei den Mahlzeiten an dem langen Eichentisch im Speisesaal gegenüber. Ich weiß nicht, wie wir zu dieser distanzierten Sitzweise gekommen sind, aber es ist schon immer so gewesen. Wahrscheinlich hat Brod es so eingerichtet, der als Diener bei so vielen verräterischen Details unseres häuslichen Arrangements seine Hand im Spiel hat. Für Brod ist mein Bruder Georg niemals völlig von uns gegangen, und er hat mein Recht auf den Grafentitel nie so ganz anerkannt, weshalb er auf seine unauffällige Art immer sein möglichstes versucht, Elisabeth und mich auseinanderzuhalten – aus alter Loyalität zu seinem Herrn, den er zutiefst bewundert hat.
Wir bekamen Wildbretpastete serviert, nicht gerade das Appetitlichste, wenn man noch eine Leichenschau vor sich hat. Das üppige Aroma des Wildbrets, das ich normalerweise genieße, ekelte mich an. Trotzdem versuchte ich, mit äußerster Selbstüberwindung den Anschein zu wahren, als sei alles so wie sonst.
Auch Elisabeth stocherte nur in ihrem Essen, hantierte lustlos mit Messer und Gabel, ohne mehr als ein paar Anstandsbissen zu sich zu nehmen.
»Ich soll nachher den Leichnam des ermordeten Mädchens untersuchen«, sagte ich.
Elisabeth schien mich nicht gehört zu haben. Im Lauf der Jahre haben wir uns angewöhnt, uns bei den Mahlzeiten anzuschweigen. Es ist nicht leicht, ein Gespräch zu führen, wenn man an entgegengesetzten Enden des Tisches sitzt; Brod bedient uns stumm, sichtlich darauf aus, jede Unterhaltung sogleich abzuwürgen, indem er sich mit einer leisen Frage zu Elisabeth vorbeugt oder geräuschvoll das Geschirr abräumt.
»Ein gewisser Inspektor Kraus bearbeitet den Fall. Komischer kleiner Bursche. Sieht aus wie ein Wiesel, scheint aber ganz helle zu sein. Hat mich gebeten, ihm ein bißchen zur Hand zu gehen. Ich sagte: ›Bin allerdings schon ein bißchen eingerostet.‹ Es ist ja schon zwanzig Jahre her, daß ich den Arztberuf aufgegeben habe. Trotzdem, ich dachte mir, ich sollte tun, was ich kann, mal sehen, was daraus wird.«
Hier ließ Elisabeth Messer und Gabel klappernd auf den Teller fallen, was sonst gar nicht ihre Art ist.
»László, ich glaube, das ist nicht ganz das passende Thema für ein Tischgespräch.« Sie warf mir ein kleines, verkrampftes Lächeln zu, um zu zeigen, daß sie es nur gut meinte.
»Oh – entschuldige!« sagte ich schnell. »Das war gedankenlos von mir.«
Doch ich registrierte mit Interesse, wie empfindlich sie auf das Thema Blutvergießen reagierte.
»Das macht nichts. Ich bin sowieso fertig. Danke, Brod, Sie können jetzt abräumen.«
»Ich bin auch fertig. Den Kaffee nehmen wir dann im Salon.«
Die Tür, die aus dem Eßzimmer führt, befindet sich hinter Elisabeths Stuhl, und als sie aufstand, erhob ich mich ebenfalls und ging zu ihr hinüber.
Normalerweise hätte Brod ihr den Schal, der über die Rückenlehne ihres Stuhls hing, jetzt um die Schultern drapiert. Das ist so etwas wie ein Ritual, lange vor meiner Zeit eingeführt, mit dem er wohl irgendeinen Besitzerstolz verbindet.
Aber Brod hatte die Hände gerade voller Geschirr und mußte daher tatenlos von der Anrichte aus zusehen, wie ich den kostbaren Schal nahm und ihn sanft um Elisabeths Schultern legte. Jederzeit sonst in den zwanzig Jahren unserer Ehe hätte sie eine solche Geste willkommen geheißen und sie dazu genutzt, daß unsere Finger sich begegneten, während sie den Schal zurechtzog. Aber heute zuckte sie zusammen, als ich sie berührte. Unwillkürlich drehte sie sich mit erschrockener Miene zu mir um, bevor sie hastig aus dem Zimmer eilte.
ABEND
Im Haus der Theissens wirkte Inspektor Kraus seltsam verlegen. Das hatte nichts mit dem üblichen Unbehagen zu tun, das man den Angehörigen eines Verstorbenen gegenüber verspürt, denn Kraus ist absolut taktlos und schert sich keinen Deut um anderer Leute Gefühle, wenn er auf sein
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