Das geheime Leben des László Graf Dracula
versichern. Ich weiß, daß Sie eine stolze Frau sind.«
»Ich nehme keine Almosen«, sagte sie heftig.
»Aber wenn im Schloß eine Stellung frei würde, etwas, das Ihrem Stand und Ihren Fähigkeiten entspricht?«
»Sie sind sehr gütig, Herr«, sagte sie steif, den Kopf abgewandt, während sie sich alle Mühe gab, ihre Rührung zu verbergen.
17. NOVEMBER 1887
Meine Arbeit – Czernins Praxis – läßt mich viel herumkommen. Mit meinem Einspänner holpere ich über Feldwege in die abgelegensten Weiler, und ich habe Winkel dieser Stadt besucht, von denen ich nicht einmal wußte, daß es sie gibt. Ich ahnte ja nicht, in welchem Elend manche Leute leben. Diese menschenunwürdigen Zustände machen sie zur leichten Beute für Krankheiten.
Tatsächlich ist da und dort schon Typhus ausgebrochen; da die Fälle bisher aber vereinzelt auftreten, bin ich gegenwärtig wohl der einzige, der sich dessen bewußt ist. Ich habe in Czernins Notizen entdeckt, daß er noch zwei weitere Patienten mit ähnlichen Symptomen behandelt hat. Beide sind in der Woche vor seinem Tod gestorben. Unsere Gemeinde ist klein, und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Menschen der Tatsache ins Auge sehen, daß eine tödliche Seuche sich anbahnt. Bis jetzt habe ich den Behörden noch nichts gemeldet, da wir um jeden Preis eine Panik vermeiden müssen. Die Menschen sind nach Estelles Tod schon verstört genug, zumal der Mörder sich noch immer auf freiem Fuß befindet.
Anfangs zögerten die Leute, mich zu rufen, wenn jemand in ihrer Familie krank wurde, als würde es sich für einen Grafen nicht gehören, einer so niedrigen Tätigkeit nachzugehen. Dann wurden meine Krankenbesuche so etwas wie eine reizvolle Neuartigkeit, und bald konnte ich mich kaum noch all der biederen Bürgerinnen erwehren, die glaubten, mein Erscheinen in ihrem Haus als Privatbesuch werten zu können und dadurch ihr gesellschaftliches Ansehen zu erhöhen. Selbst als Medizinstudent hatte ich mich niemals mit der Rolle des Gesellschaftsarztes anfreunden mögen, der sich um die trivialen Beschwerden gelangweilter Damen kümmert, obwohl eine solche Klientel weitaus am einträglichsten ist. Doch materielle Rücksichten brauchen mich jetzt nicht zu interessieren, und ich verweise derartige Patientinnen ziemlich barsch an den Kollegen Herczeg in Kolozsvar.
Elisabeth wird für Mari im Schloß eine Stellung finden. Inzwischen hat sich Mari in die Arbeit mit Kranken gestürzt. Zwar halte ich das in ihrem angegriffenen Zustand nicht für ratsam, aber sie besteht darauf und will nicht auf mich hören, wenn ich versuche, sie auf das Risiko hinzuweisen, dem sie sich aussetzt. Bedenklich erscheint mir vor allem, daß sie Helene, ihre jüngere Tochter, zu den Krankenbesuchen mitnimmt. Mari wirkt ziemlich resigniert und ist wohl kaum mehr in der Lage, die nötige elterliche Autorität über die Mädchen auszuüben, von denen jedes auf seine Art temperamentvoll und eigenwillig ist.
»Sie müssen ihren eigenen Weg finden«, sagte Mari gleichmütig, als ich sie wieder einmal wegen Helene ermahnte. »Sie wollte mitkommen. Ich konnte sie nicht davon abhalten.«
Und tatsächlich bringt Helene ein bißchen Sonnenschein in diese tristen Umgebungen. Der Tod ihres Vaters (ich nehme an, er war es) hat sie sehr erschüttert, und oft ist sie nahe daran, in Tränen auszubrechen. Sie kannte ihren Vater als einen guten Menschen, daher ist der Verlust ihr unverständlich. Sie ist unendlich gutwillig. Selbst knorrige alte Bauern reagieren weichherzig auf sie, und ihre Frauen drücken ihr tröstend die Hand und verziehen die runzligen Gesichter zu einem Lächeln, vielleicht zum erstenmal seit Jahrzehnten.
Ich kann die Tatsache nicht ignorieren, daß Helene hübsch ist, obwohl ich wünschte, daß es mir gleichgültig wäre. Sie hat einen warmen, strahlenden Blick und eine kleine, kecke Stupsnase. Die Trübsal paßt eigentlich nicht zu ihrem Wesen; wie viele junge Menschen vergißt sie ihre Traurigkeit schnell, wenn sie abgelenkt wird. Manchmal habe ich sie in helles Lachen ausbrechen sehen, doch sogleich reißt sie sich erschrocken zusammen und verfällt in beschämtes Schweigen.
Mari und ihre Töchter leben weiter in Czernins Haus. Ich glaube nicht, daß es irgend jemand eilig hat, den Erben vom Tod seines Onkels zu informieren, so daß sie im Augenblick dort ungestört wohnen und von dem Geld leben können, das Mari mit ihrer Arbeit als Krankenpflegerin verdient. Es gibt eine Menge zu tun, und sie
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