Das geheime Leben des László Graf Dracula
kennen die Diagnose also?«
»Noch nicht.«
Angesichts seiner offensichtlichen Bewußtseinstrübung wie auch seiner armseligen Lebensumstände schien es mir denkbar, daß er ein Trinker im Anfangsstadium des Delirium tremens sein könnte. Aber die Tatsache, daß er so schnell zu einer gewissen Klarheit zurückgefunden hatte, deutete darauf hin, daß die Ursache für seinen Zustand woanders liegen mußte.
Er winkte mich näher und dann noch näher, und ich war gezwungen, mich über ihn zu beugen und mich dem Miasma seines stinkenden Atems auszusetzen, während er die Kraft zum Sprechen sammelte.
»Typhus, Herrgott, es ist Typhus!« krächzte er heiser.
Ich sah über das Bett zur offenen Tür hinüber und überlegte, ob seine Stimme wohl so weit drang, daß die Haushälterin ihn gehört haben konnte. »Unsinn, mein lieber Freund, das ist der Fieberwahn. Sie wissen nicht, was Sie sagen.«
»Ich habe den Ausschlag. Die roten Flecken. Typhusfieber.«
Er zerrte schwach an seinem Nachthemd, bemüht, seine Brust zu entblößen.
»Erlauben Sie?« fragte ich.
Da ich ihn ja ohnehin untersuchen mußte, schien dies eine gute Gelegenheit, es mit seiner Zustimmung zu tun. Wieder sank er erschöpft in die Kissen und schien in einen Dämmerzustand zu entgleiten. Sein Nachtgewand war arg beschmutzt, genauso wie das Bett, in dem er lag. Mit einigen Schwierigkeiten brachte ich ihn dazu, sich zuerst auf die eine und dann auf die andere Seite zu legen, so daß ich ihm das durchweichte Hemd bis zu den Achseln hochziehen konnte, um seinen Bauch und seine Brust aufzudecken.
Seine Haut war brennend heiß, aber zu meiner Erleichterung stellte ich fest, daß dort kein Ausschlag zu sehen war. Er atmete rasselnd, und ich dachte schon, ich hätte es mit einem Fall von Lungenentzündung zu tun, bis er das nächste Mal tief Luft holte und ich den Rand einer vergrößerten Milz unter dem Rippenbogen ertastete.
Als ich das Krankenzimmer verlassen hatte, gab ich der Haushälterin Anweisung, eine Pflegerin zu engagieren, die ihn baden sollte. Sie würde es selbst tun, beharrte sie, sie sei es gewohnt, dem Doktor in solchen Dingen behilflich zu sein. Ich schärfte ihr ein, dafür zu sorgen, daß er genug zu trinken bekommt, denn das Fieber hatte ihn ausgelaugt. Auf einem von Czernins eigenen Rezeptblöcken verschrieb ich ihm eine Kampferinfusion zur Befreiung der Atemwege.
Ich kehrte mit einem schüchternen Anflug von Selbstzufriedenheit zum Schloß zurück. Vielleicht bin ich am Ende doch nicht völlig nutzlos auf dieser Welt. Und wenn ich von Gregor und Elisabeth in diese Helferrolle gedrängt worden bin, dann sei es so. Ich beuge mich ihren Machenschaften. Es ist eine wohlgemeinte Verschwörung. Sie haben sich meine moralische Errettung zum Ziel gesetzt, und ich muß zugeben, daß ich unfähig bin, mich selbst zu retten.
Ich muß arbeiten, denn das Nichtstun verschafft meiner verderbten Phantasie nur neue Gelegenheiten. Die bescheidene Arbeit eines Landdoktors ist mein Weg zurück zur Normalität. Gregor hätte mir keine angemessenere Buße auferlegen können. Also habe ich veranlaßt, daß sich mein Beschluß herumspricht, die Verantwortung für Dr. Czernins Praxis zu übernehmen, solange er indisponiert ist.
20. OKTOBER 1887
Gestern abend kam jemand mit der Nachricht, daß es Dr. Czernin schlechter ginge.
»Ich wollte Sie nicht belästigen, Herr Graf«, sagte Mari, seine Haushälterin.
Im Verlauf von zwei Tagen hat die Krankenpflege sie schon sichtlich erschöpft.
»Aber nicht doch«, winkte ich ab. »Sie haben völlig richtig gehandelt.« Als sie mich zu Czernin ins Zimmer führte, waren zwei Mädchen dort, eine ungefähr siebzehn, die andere vielleicht neunzehn, die sie mir als ihre Töchter vorstellte. Ich bemerkte, daß Mari ganz unbefangen Czernins Hand nahm; vermutlich lebten sie schon einige Zeit als Mann und Frau zusammen. Ich fragte mich, ob das jüngere Mädchen, Helene, nicht seine Tochter sein könnte. Sie hielt sich außerhalb des Kerzenscheins, vielleicht, um ihr verweintes Gesicht vor dem Mann im Bett zu verbergen. Theresa, die ältere Tochter, machte sich im Zimmer zu schaffen, räumte auf und rückte Dinge zurecht, aber sie zeigte keine sonderliche Gefühlsregung in bezug auf den Kranken.
Sein Zustand hatte sich sehr verschlechtert. Er reagierte nicht auf meine Stimme, wälzte sich stöhnend im Bett herum und murmelte unzusammenhängende Wortfetzen. Sein Atem ging flach, aber nicht keuchend, wie es im letzten
Weitere Kostenlose Bücher