Das geheime Leben des László Graf Dracula
ist sehr gefragt. Es ist zu einem Teil meiner täglichen Routine geworden, morgens bei ihnen vorbeizuschauen. Mari und Helene warten dann schon auf mich, und Helene liest mir die Liste der Patienten vor, die wir aufsuchen müssen. Ich weiß nicht, was ich ohne sie tun würde. Obwohl ich wegen der Ansteckungsgefahr besorgt bin, muß ich gestehen, daß Helenes Gegenwart mir den Tag verschönt.
»Du bist ein Geschenk Gottes, Helene«, habe ich gestern zu ihr gesagt, als sie mir einen Spiegel aus Czernins Praxis brachte, den ich zur Untersuchung eines Patienten benötigte.
»Ich bitte Sie, Herr, Sie wissen nicht, was Sie sagen.«
Sie bekreuzigte sich schnell. Ich nehme an, daß mein Kompliment als milde Form der Blasphemie angesehen werden konnte. Aber war das der Grund, warum sie rot wurde?
Gestern erschien sie nicht an der Tür, als ich vor ihrem Haus anhielt. Mari stieg auf den Sitz neben mir und sagte, daß Helene sich nicht wohl fühle. »Es ist nichts Ernstes.«
»Sind Sie sicher?« Mein Herz klopfte. Für uns alle bestand ein Risiko, sich bei einer infizierten Person anzustecken. Und die Anfangssymptome konnten täuschend harmlos erscheinen.
»Morgen wird sie wieder so munter sein wie ein Fisch im Wasser«, sagte Mari ohne eine Spur von Besorgnis. »Spätestens übermorgen.«
»Aber wie können Sie sich da so sicher sein?«
»Glauben Sie mir nur.« Sie sah mich mit einem wissenden Blick an.
Ungebeten erschien vor meinem inneren Auge das Bild von einem Rinnsal Menstruationsblut, das langsam zwischen Helenes Beinen hervorsickerte.
Ich war froh, daß ich für den Rest des Tages zu sehr eingespannt war, um zum Nachdenken zu kommen. In der Nacht wurde ich zu einem Mann gerufen, der in den letzten Zügen lag, aber ich lag ohnehin wach und brauchte etwas, das mich beschäftigte. Eine Stunde vor Morgengrauen kroch ich dann zurück in mein Bett, endlich erschöpft genug, um in einen unruhigen Schlaf zu fallen.
I. DEZEMBER 1887
Ich bin mir nicht sicher, wann Theresa zum erstenmal in Erscheinung trat. Sie war da, als Dr. Czernin starb, aber obwohl sie sich so beschäftigt gab und in gewisser Hinsicht mehr auffiel, erinnere ich mich eher an ihre Schwester Helene, wenn ich an jenen Tag zurückdenke. Theresa hingegen blieb so etwas wie ein verschwommener Fleck in dem trüben Licht jenes Krankenzimmers.
Helene sagte mir, daß ihre Schwester für das Kloster bestimmt ist. Schon jetzt hat sie eine religiöse Blässe, die ihre tiefen, dunklen Augen und ihr schwarzes Haar hervorhebt. Theresa ist viel dunkler als ihre jüngere Schwester; sie ist klein und fast stämmig, während Helene schlank und hochgewachsen ist.
Wahrscheinlich nahm ich deshalb auch gleich an, daß sie nur Halbschwestern sind, obwohl niemand je ein Wort darüber verliert. Sie sind auch in ihren Temperamenten verschieden: Helene ist optimistisch und nach außen gekehrt, während Theresa mehr zu scheuer Zurückhaltung neigt. Beim Sprechen hat Theresa die merkwürdige Angewohnheit, mit flatternden Augenlidern schräg nach oben zu schauen, und in solchen Momenten werde ich an die Ekstase ihrer namensverwandten Heiligen erinnert. Das erste Mal, daß ich sie tatsächlich bemerkte, befand ich mich im Krankenzimmer eines ihrer Nachbarn, der als nächster die unheilverkündenden Typhussymptome aufwies. Sie kam mir vage bekannt vor, aber in meinem müden Zustand mußte ich sie erst eine Weile anstarren, bevor ich wußte, woher ich sie kannte. Als sie das Zimmer verließ, lächelte sie mich mit einem schüchternen Augenaufschlag an. Später, auf meinem Rückweg zum Schloß, holte ich sie ein, und nur mit Mühe konnte ich sie überreden, zu mir in den Einspänner zu steigen, und auch dann ließ sie sich nur bis zum Marktplatz fahren, da sie auf keinen Fall akzeptieren wollte, daß ich ihretwegen einen Umweg machte. Sie ist ein sonderbares, weltentrücktes Mädchen, verschlossen und genügsam. Ihr nonnenhaftes Gehabe hat etwas Irritierendes, aber viel davon kann man ihr wegen ihrer Jugend nachsehen. Sie ist unschuldig und ein bißchen verrückt.
14. DEZEMBER 1887
Heute morgen kletterten Mari und Helene beide auf den schmalen Sitz des Einspänners neben mich. Es ist ziemlich kalt, und so rückten wir automatisch dicht zusammen. Wir drei haben uns gut aneinander gewöhnt und fühlen uns in der Gesellschaft der anderen wohl. Inmitten einer Epidemie, bei der viele Menschen wahrscheinlich ihr Leben verlieren, habe ich Gewissensbisse, wenn ich so fröhlich bin.
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