Das geheime Leben des László Graf Dracula
Besuch damals, als sie noch ein Kind war.«
»Es ist demnach schon alles abgesprochen. Du hättest mich ja wenigstens fragen können.«
»Ich war in einer schwierigen Lage. Nicole deutete schon andauernd an, daß sie uns gern besuchen würden, und dann, im Wagen, hat sie mich schließlich geradeheraus gefragt. Was hätte ich tun sollen? Ich hatte das Gefühl, daß ich es kaum ablehnen konnte, ohne unhöflich zu sein.«
»Du hättest ihnen sagen sollen, daß wir eine Typhusepidemie haben. Das hätte Nicoles Begeisterung gedämpft.«
»Das Komische ist, daß ich das schon getan hatte. Sie fragte mich irgendwann, wie du so deine Zeit verbringst, und ich erzählte ihr, wie selbstlos du dich dafür eingesetzt hast, die Stadt vor der Epidemie zu retten. Sie muß es vergessen haben. Aber bis sie im April kommen, wird das alles hinter uns liegen.«
»Im April? Warum müssen sie ausgerechnet dann kommen?«
»Warum nicht? Dann ist Frühling. Es wird sehr hübsch sein im Tal.«
»Aber das ist schon so bald. Der Zeitpunkt scheint mir nicht sehr gut gewählt.
Zum einen ist das Wetter so unsicher.«
»Es ist die einzige Zeit, zu der Lothar von seiner Arbeit weg kann. Ich glaube, Nicole war es eher peinlich, daß sie als Gast das Datum des Besuchs festzusetzen schien. Hattest du für die Zeit denn schon irgendwelche anderen Pläne?«
»Nein. Es ist nur...« Ich dachte an Oberst Rados Wahnsinnsunternehmen.
Vielleicht war es das kalte, humorlose Glitzern in seinen Augen, das mich letzten Endes veranlaßte, es Elisabeth gegenüber zu verschweigen.
»Wir dürfen keine Geheimnisse voreinander haben, László«, sagte sie, während sie mit untypischer Impulsivität meine Hand ergriff. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr in die Augen zu sehen.
»Da war ein Treffen angesetzt...«, sagte ich schwach.
»Die Ungarische Liga?« fragte Elisabeth.
Ich nickte. Sie ließ meine Hand los und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Ihre Miene nahm einen schmerzlichen Zug an, und sofort reute es mich, die Sache zur Sprache gebracht zu haben. Gregor hatte ihr bestätigt, daß die Treffen tatsächlich stattgefunden hatten, aber Elisabeth konnte keinen Zweifel darüber hegen, daß ich sie als einen Vorwand für meine Verabredungen mit Estelle benutzt hatte.
»Ich bin sicher, daß die von Picks es verstehen werden, wenn du wichtigere Dinge zu tun hast«, sagte sie. »Falls du nach Budapest fahren mußt, kann Brod dich begleiten.«
I6.MÄRZ i888
Brod genießt seine neue Aufgabe, läßt sich sein Behagen aber nicht anmerken: Wahrscheinlich erhöht das noch den Genuß. Statt dessen befleißigt er sich einer undurchdringlichen Pokermiene, die mich an die weißbekittelten Wärter im Salpêtrière erinnert. Ich glaube nicht, daß er sich darüber im klaren ist, warum er mich nicht aus den Augen lassen darf, aber aus seinem Benehmen wird deutlich, daß er nicht wie Jakob meint, er sei zu meinem Schutz abgestellt. Für Brod genügt es, daß Elisabeth ihm diese Aufgabe anvertraut hat. Er ist ihr hündisch ergeben. Diese Arbeit unterscheidet sich von ihren sonstigen Anweisungen, das Silber auf eine bestimmte Weise zu putzen oder ein neues Hausmädchen einzustellen: Elisabeth hat ihm den Wächterposten als persönliche Aufgabe übertragen. Gelegentlich ertappe ich ihn dabei, daß er mich mit regelrechter Schadenfreude beobachtet. Du magst hier vielleicht der Herr sein, scheint er zu sagen, aber ich bin der Aufseher.
Ich hatte bald herausgefunden, daß ich mich in Budapest frei bewegen kann, solange Brod mich begleitet. Seine Gegenwart vergällt mir jegliches Vergnügen an meinen Stadtrundfahrten. Heute morgen saß er wieder einmal kerzengerade hingepflanzt neben dem Kutscher, drehte sich von Zeit zu Zeit um, als wollte er nachsehen, ob ich auch nicht vom Wagen gesprungen war, in Wirklichkeit aber weidete er sich nur voller Besitzerstolz am Anblick seines Schutzbefohlenen.
Ich lehne träge in meinem Sitz, starre gleichgültig auf das geschäftige Treiben, tue so, als würde ich es nicht merken.
Natürlich habe ich auch schon daran gedacht, ihm zu entwischen, nur um ihm eine Lektion zu erteilen. Aber ein solcher kleiner Triumph wäre mir kaum von Nutzen. Denn solange ich mich fügsam zeige, sammle ich in Brods Augen so etwas wie ein Vertrauenskapital an. Und dieses Guthaben will ich nicht stückweise verplempern – eine Stunde Freiheit hier und da –, sondern es lieber im probaten Moment für den großen Coup einsetzen. Zu der inneren
Weitere Kostenlose Bücher