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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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seines Tonfalls – halb dem eines Kollegen, der einen anderen um seine Meinung ersucht, halb dem eines Polizisten, der einen Verdächtigen mit leisem Druck ins Gebet nimmt – eine hübsche Zweideutigkeit zustande brachte.
    »Wie ich annehme, ist dies der Grund für Ihre Rückkehr?«
    »Seien Sie so freundlich, es zu lesen.«
    »Gewiß. Laut?«
    »Ganz wie Sie wünschen.«
    Ich las:

    Ich kann nicht ertragen, was ich geworden bin. Was ich tun werde.
    Hoffen Sie nicht auf eine Sinnesänderung. Ich werde weitermachen und unschuldige Frauen töten, bis man mich verhaftet. Ich bin ein tollwütiger Hund, der erschossen werden muß. Das ist die einzige Lösung. Sie müssen mich aufhalten. Warum können Sie mich nicht schnappen? Sie haben den ersten Fall verpfuscht – wenn Sie nur den Fußabdrücken gefolgt wären, hätten diese Sie zu mir geführt. Wenn Sie Ihre Arbeit getan hätten, wären die anderen beiden noch am Leben!
    Warum kriegen Sie mich nicht zu fassen? Stehe ich denn so hoch über Ihnen, daß Sie nicht die Augen heben können, um mich zu sehen? Die Leute meinen, ich wäre ein Heiliger, aber in Wahrheit bin ich der Inbegriff des Bösen.

    Es war beunruhigend, den Brief in diesem neuen Zusammenhang zu lesen. Die Wörter muteten mich fremd an. Ich hatte mich in ihrer Formulierung abgemüht, während der eigentliche Gehalt dessen, was ich da abgefaßt hatte, in einem einzigen Schwall aus meinem Innersten heraufgestiegen war. Es war mir als ein Schrei aus tiefstem Herzen erschienen, als eindringliches Flehen, daß Kraus mich aufhalten sollte, aber nun, da ich es laut las, hörte ich auf einmal den spöttischen Unterton heraus.
    »Nun?« fragte er. Er sah mir jetzt geradewegs ins Gesicht, und in seinen Augen erkannte ich den brennenden Haß, den er vor mir verborgen hatte.
    »Höchst interessant«, erwiderte ich.
    »Ist das alles, was Sie zu sagen haben?« sagte er angewidert.
    »Keineswegs. Aber ich wollte Ihnen mit meiner Meinung nicht zuvorkommen.«

    »Ich bin daran interessiert, was Sie zu sagen haben.«
    »Also, gut. Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Die Schrift ist unbeholfen, als stamme der Brief von jemandem, der praktisch ein Analphabet ist. Entweder hat der Schreiber versucht, seine Handschrift zu verstellen, oder er wollte den Adressaten in bezug auf seine Bildung in die Irre führen. Daß er das Wort ›Inbegriff‹ verwendet, verrät ihn natürlich. Der Ausdruck ist ja nicht gerade alltäglich und läßt daher vermuten, daß der Verfasser dieser Zeilen einigermaßen belesen sein dürfte.«
    »Da stimme ich Ihnen zu.«
    »Ich nehme an, wir sind uns auch darüber einig, daß die Handschrift die eines Mannes ist?«
    »Das will ich nicht bestreiten.«
    »Daraus könnte man also folgern...«
    »Können wir nicht langsam zu dem Geständnis selbst kommen ?« unterbrach Kraus mit einiger Gereiztheit.
    »Ich glaube, Sie urteilen da etwas vorschnell, wenn Sie dies als Geständnis ansehen.«
    »Ja, wie würden Sie es denn nennen?« fuhr er auf. »Ein weinerliches, selbstmitleidiges Lügengespinst? Einen verdrehten Rechtfertigungsversuch?
    Sollen wir jetzt etwa noch Mitleid haben mit dem unglücklichen, fehlgeleiteten Burschen, weil wir ihn nicht rechtzeitig aufgehalten haben? Sollen wir vielleicht glauben, daß er sich so wenig unter Kontrolle hat wie ein Epileptiker?« Er schob das Blatt angeekelt von sich. »Dieser Wisch hier liest sich wie die Abschieds-botschaft einer hysterischen Selbstmörderin!«
    Mir war nicht klargewesen, wie sehr Kraus mit den Nerven herunter war. Der Brief hatte ihn an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, was ich gar nicht vorausgesehen hatte. Trotzdem ließ ich mich von seinem Wutausbruch nicht provozieren.
    »Ich meine nur«, fuhr ich milde fort, als Kraus sich halbwegs beruhigt hatte,
    »daß wir nicht überstürzt zu dem Schluß kommen sollten, dies hier sei von dem Mörder selbst geschrieben worden. Es könnte genausogut von irgend jemandem stammen, der lediglich einen unschuldigen Menschen anschwärzen will.
    Andererseits könnte der Schreiber auch jemand sein, der weiß, wer die Frauen getötet hat, und...«
    »Schon gut«, knurrte Kraus. Ich merkte, daß er mit den Zähnen knirschte.
    Meine pedantische Methode, in Wirklichkeit eine Karikatur seiner eigenen, brachte ihn sichtlich aus dem Konzept.
    »Ich finde, es ist doch wichtig, nicht wahr, Inspektor, daß wir unsere wissenschaftliche Objektivität beibehalten. Vor allem jetzt, da wir so dicht vor einer Verhaftung

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