Das geheime Leben des László Graf Dracula
Umkehr, die Elisabeth sich so inbrünstig erhofft, sehe ich mich nicht in der Lage, und ich habe nicht die Absicht, den Rest meines Lebens in Gefangenschaft zu verbringen. Vielleicht spürt Brod das instinktiv. Zweimal schon sah es aus, als sei er eingeschlafen, und ich ignorierte diese Fluchtgelegenheiten. Einmal, noch verlockender, schien er in den Inhalt eines Schaufensters in der Vaci-Straße vertieft zu sein. Er starrte gebannt auf die funkelnde Auslage von Rasiermessern, Scheren, Nagelclips und seltsam geformten Klingen mit spezifischem, aber unklarem Verwendungszweck. Es wäre mir ein leichtes gewesen, mich in dieser belebten Hauptverkehrsstraße unter die Menschenmenge zu mischen und zu verschwinden, aber ich witterte eine Falle.
So betrachtete ich ungerührt die Seifenstapel und Rasierwasserflaschen im angrenzenden Laden und gewahrte schon bald in der Spiegelung der Fensterscheibe, wie Brod einen schnellen Blick in meine Richtung warf, um zu sehen, ob ich nach dem Köder schnappte.
Brod ist kein Mann, mit dem sich spaßen läßt. Obwohl zehn Jahre älter als ich, ist er sehnig und robust, und seine grimmige Beharrlichkeit deutet darauf hin, daß er sich wenig um sein eigenes Wohlergehen sorgt. Ich habe keine Zweifel, daß er bewaffnet ist. Die große Kavalleriepistole, die Jakob immer mit sich herumgeschleppt hat, ist zu sperrig für die Stadt. Ich denke, daß ein Schlag-stock dem guten Brod mehr liegen würde, oder ein Stilett: irgend etwas Leises, mit dem er mich flink und unauffällig aus dem Verkehr ziehen könnte.
All das ging mir heute morgen durch den Sinn, während ich Brods schmalen Rücken von meinem Sitz im Wagen aus betrachtete. Wir überquerten die Brücke nach Buda und fuhren langsam die gewundene Straße zu Rados Haus hinauf. Ich sah keinen Grund, warum das Vorhaben, für das er mich eingespannt hatte, nicht von Gästen gestört werden sollte. Tatsächlich könnte sich ihre Gegenwart zu unseren Gunsten auswirken, bot sie doch eine gewisse Ablenkung für das Dienstpersonal und sonstige Neugierige in der Stadt. Trotzdem gebe ich zu, daß ich mich ein wenig unbehaglich fühlte, dem Oberst diese geringfügige Planänderung beichten zu müssen, und ertappte mich dabei, wie ich mir vorsorglich meine Argumente zurechtlegte, während wir uns seinem Haus näherten.
Brod bestand darauf, mich an die Tür zu begleiten, und langte an mir vorbei, um eigenhändig den Messingklopfer zu betätigen. Die Tür wurde sofort von dem Diener geöffnet, der sich noch an meinen Namen erinnerte.
»Der Oberst ist nicht zu Hause«, erklärte er.
»Nun gut. Vielleicht könnten Sie aber dafür sorgen, daß er meine Karte erhält und versteht, daß ich mich in einer wichtigen Angelegenheit an ihn wende.«
»Tut mir leid, Herr Graf, aber das ist unmöglich.«
»Und warum?«
»Oberst Rado ist auf der Jagd in Afrika. Wir erwarten ihn nicht vor dem Sommer zurück.«
Ich war verblüfft. »Aber wann ist er denn abgereist?« fragte ich.
»Vor über drei Monaten«, sagte mir der Mann.
Ich wollte gerade darauf beharren, daß ich ihn erst vor drei Tagen gesprochen hatte, überlegte es mir dann aber anders.
I6
29. MÄRZ 1888
it dieser Einladung habe ich etwas ungeheuer Dummes angerichtet. Noch M vier Tage, bis sie zu ihrem Besuch eintreffen, und stündlich werde ich mehr und mehr von Gedanken an Stephanie gepeinigt. Ich werde sie töten, das weiß ich. Ich wünsche mir mehr, als mir mein Leben lieb ist, sie auf meine perverse Art zu nehmen.
Ja, es ist Liebe, reden wir Monster uns ein. Wir lieben zu inbrünstig, zu urtümlich, zu ehrlich. Zu bestialisch. Liebe ist die letzte große Lüge. Wie soll man eine Liebe beschreiben, die so verzehrend ist, so erfüllt von dem Verlangen, eins zu werden mit der Geliebten, daß der Liebende ihre Kehle aufreißt, um den heiß hervorschießenden Lebenssaft auszuschlürfen, bis zum letzten Beben ihres sterbenden Herzens?
Und womit bleibt man zurück, wenn die Wahrheit zutage getreten ist? Das Dasein eines Monsters ist trist. Es gibt nur diese eine Besessenheit, alles andere wird ihr bedingungslos untergeordnet. Unmerklich entsickert uns alles menschliche Mitgefühl bis auf einen letzten Bodensatz, und der ist es, der uns am meisten zu schaffen macht. Die Seele entweicht nicht friedlich, während der Körper noch lebt. Der Todeskampf des menschlichen Gemüts schlägt sich in allerlei Exzessen nieder: weinerliche Gefühlsduselei, Gewissensqualen, unbezwingbare Ausbrüche ethischen
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