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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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zurückversetzt fühle. Im Vordergrund steht die schmerzliche Sehnsucht dieser unglücklichen Jugendliebe, im Hintergrund die dunkle Ahnung vom nahenden Tod meiner Mutter. Sie war auch eine Gefangene in diesem Schloß, sehnte sich nach Frankreich, nach den Annehmlichkeiten der Zivilisation, die wir uns nicht leisten konnten, umgeben von abergläubischen Bauern, deren Sprache sie nie zu sprechen lernte. Deutlich habe ich noch ihren immerwährenden trockenen Husten im Ohr.
    Des Nachts, wenn das ganze Schloß in tiefer Stille lag, hörte ich das gedämpfte, einsame Husten meiner geliebten Mutter, die Stück für Stück vor sich hin starb. Sie trug stets eines der Batisttaschentücher bei sich, umsäumt mit französischer Spitze, die Nicole und ihre Mutter ihr als Gastgeschenk mitgebracht hatten. Beim Abendessen drehte sie sich zur Seite, wenn sie hustete, und hielt sich das Taschentuch diskret vor den Mund. Es bestand die stillschweigende Übereinkunft, ungeachtet dessen mit dem Tischgespräch fortzufahren, als sei nichts weiter Bemerkenswertes vorgefallen. Sobald der Anfall vorüber war, legte meine Mutter Wert darauf, sich mit einer kurzen Bemerkung an der Unterhaltung zu beteiligen, doch bevor sie das Taschentuch wieder an seinen Platz im linken Ärmel stopfte, konnte sie es sich nicht verkneifen, schnell nachzuschauen, ob Blut daran war. Und ebensowenig konnten wir uns davon abhalten, ihr forschend ins Gesicht zu sehen, als wäre es ein Spiegel, der uns offenbarte, was sie unter dem Tisch in den Händen hielt.
    Und nun, eine Generation später, waren wir wieder hier versammelt.
    Vor ihrer Ankunft hatte ich mich angeregter gefühlt denn je. Ich scherte mich nicht länger um Entschuldigungen und mildernde Umstände, wanderte zuversichtlich umher, mit der Selbstgewißheit eines Raubtiers, das von neuem seine Kraft in sich spürt. Ich war der Minotaurus, der dem Eintreffen der Jungfrau in seiner Höhle entgegenharrte und sich die Wartezeit mit wollüstigen, blutrünstigen Phantasien vertrieb. Die Vorfreude wirkte ungemein belebend.
    Die Realität ihrer Gegenwart hat mir jedoch bewußt gemacht, daß ich nichts als eine entartete Bestie bin. Ich hätte innehalten sollen, noch bevor meine Umwandlung ganz vollzogen war, bevor ich das volle Maß der Bestialität erreicht hatte. Jetzt bin ich in diesem hybriden Zustand gefangen und kann nicht mehr weiter. Die Erinnerungen an meine Mutter und an die junge Nicole wirken plötzlich wie ein Hemmschuh; unversehens schleichen sich bittersüße Gefühle ein, um alarmierende Symptome des Mitleids und des Anstands hervorzubringen. Wenn ich diese Rührung nicht überwinden kann, wird sie mich vollends lahmen. Vorsichtig versuche ich meine Gemütsverfassung zu ergründen, etwa so, wie man seinen Bauch abtastet, wenn man eine Blinddarmentzündung vermutet. Ich habe Angst, noch weiter in der Vergangenheit nachzubohren, damit ich den Abszeß nicht aufbreche und von dem Gift der Mitmenschlichkeit überflutet werde.
    Auch das wird vorübergehen. Während ich dies hier niederschreibe, weiß ich bereits, daß nichts mich aufhalten wird.

    5. APRIL 1888

    Die von Picks haben sich gut eingewöhnt und sich reibungslos unserem ländlichen Lebensstil angepaßt. Sie scheinen sich nicht zu langweilen, abgesehen vielleicht von Stephanie, doch ich glaube, sie fühlt sich verpflichtet, ein gewisses Maß an Blasiertheit zur Schau zu tragen, wie sich das für eine junge Dame aus besseren Kreisen gehört. Nach dem Mittagessen machten Stephanie und Nicole mit Elisabeth eine Spazierfahrt, und ich blieb mit Lothar allein zurück. Brod hatte Zeit gefunden, das Billardzimmer zu renovieren, und so nahmen wir dort unseren Kaffee zu uns und rauchten unsere Zigarren.
    »Alle Achtung!« sagte er bewundernd, als er den Tisch sah. Er bückte sich, um das Messingschild des Herstellers an der Seite zu lesen. »Das habe ich mir gedacht: ein Braithwaite. Die Briten sind nicht zu schlagen, wenn es um Billardtische geht.«
    Ich hatte mich noch nie viel darum gekümmert. »Mein Großvater hat ihn seinerseits herschaffen lassen«, sagte ich. »Es war ein ziemliches Unternehmen, vor dem Bau der Eisenbahn.«
    Lothar stupste eine Kugel an, so daß sie von der gegenüberliegenden Bande abprallte, und betrachtete sie kritisch, als sie zu ihm zurückgerollt kam. »Na bitte«, erklärte er.
    »Schnurgerade, ganz wie's sein soll.«
    Wir hatten einmal in Paris zusammen Billard gespielt, und wie ich mich von damals her noch erinnerte,

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