Das geheime Leben des László Graf Dracula
ist er ein Experte. Er strich um den Tisch, das Queue wie ein Gewehr im Anschlag, mit einer gespannten Intensität, die einen eigentümlichen Gegensatz zu der Lässigkeit bildete, mit der er den Ball jeweils anpeilte, dann unweigerlich ins Loch versenkte. Und die ganze Zeit plauderte er munter weiter, als könnte sein Redefluß ihn nicht im mindesten von der Konzentration auf das Spiel ablenken.
»Früher oder später...«, er unterbrach sich kurz, um die Kugel anzustoßen und mit der roten und der schwarzen eine elegante Karambolage hinzulegen,
»müssen Sie aber mal Farbe bekennen und mich an dem Spaß teilhaben lassen, den Sie sich hier in der Gegend genehmigen.« Er schlenderte zur anderen Seite des Tisches und beugte sich über das Queue.
»Je nun, was man als Landjunker so tut. Sie wissen schon – jagen, fischen.«
Mit einer weichen, geschmeidigen Bewegung des Ellbogens schickte Lothar die Kugel quer über den Tisch und sah mit leicht geneigtem Kopf zu, wie sie gegen die rote stieß und diese direkt ins Eckloch beförderte.
»Ab und zu trifft man sich auch mit seinen Nachbarn«, fuhr ich fort, während ich die Kugel aus der Auffangtasche holte und sie für ihn zurechtlegte.
»Tatsächlich?« Er bückte sich, um die Schußlinie zu prüfen. »Graf Aponyi hat doch irgendwo hier in der Gegend ein Jagdrevier, nicht wahr?« Diesmal schien die rote Kugel unentschlossen am Rand des Lochs innezuhalten, bevor sie schließlich hineinrollte.
»Gut gemacht!« sagte ich.
»Es sah nur schwierig aus, weil ich den Ball nicht fest genug angestoßen habe.«
»Unsinn, bei Ihnen wirkt das alles immer so verdammt mühelos, daß ich mir wie ein Bär vorkomme, wenn ich mit Ihnen spiele.«
Ich glaube, er verpatzte seinen nächsten Stoß absichtlich. »Sie erinnern sich also?« fragte er.
»Natürlich. Wie kann man eine so einseitige Partie vergessen?«
»Ich hätte Ihnen gern Revanche angeboten, aber Sie mußten ja auf einmal so eilig weg.« Wie nebenbei versenkte er die Kugel, die ich verfehlt hatte. »Unter so mysteriösen Umständen.«
»Ich dachte, Sie würden den Grund kennen.«
»Wegen Ihres Bruders?« Er lehnte sich weit über den Tisch, und mit einem abrupten Stoß jagte er sämtliche Kugeln auf dem Tisch durcheinander. »O ja, davon habe ich gehört.« Die schwarze Kugel fiel wie ein Nachgedanke in ein Seitenloch.
»Ich hätte Ihnen schreiben sollen. Es tut mir leid. Aber nach Georgs Tod ging hier alles drunter und drüber. So viel ungewohnte Verantwortung auf einmal.
Und dann, als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte — na, Sie wissen ja selbst, wie das ist, nicht wahr? Irgendwie hatte ich den Vorsatz schon zu lange aufgeschoben.«
»Es gab ein paar Schwierigkeiten...«, Lothar schoß die Kugeln jetzt in schneller Folge vom Tisch, und ihr Aneinanderklicken unterstrich seine Worte wie mit Ausrufezeichen, »nachdem Sie weg waren... Vor allem wegen der Sache... mit Stacia.«
»Stacia?«
Er hielt inne und betrachtete mich eingehend. »Wußten Sie denn nichts davon?«
»Nun, ich habe natürlich gehört, daß sie gestorben ist.«
»Gestorben? Sie ist ermordet worden.«
»Ein paar Jahre nachdem ich Paris verlassen hatte, traf ich zufällig einen Kollegen vom Salpêtrière bei einer wissenschaftlichen Tagung. Er erwähnte es mir gegenüber.«
»Erwähnte es?«
»Er schien die Einzelheiten nicht genau zu kennen.«
»Es hat einigen Ärger gegeben, das können Sie mir glauben.«
»Aber Sie selbst hatten doch nichts persönlich damit zu tun?«
»Ich war der Hauptverdächtige«, sagte er. Ein sardonisches Lächeln spielte um seine Lippen, aber seine Augen waren hart und beobachteten mich lauernd.
»Es war eine ziemlich unerfreuliche Erfahrung, kann ich Ihnen sagen. Ich habe nicht vor, so was noch mal durchzumachen.«
Mir wurde immer unbehaglicher zumute. »Aber wie in aller Welt ist man denn auf Sie verfallen?« fragte ich lahm.
»Vielleicht, weil Sie nicht zur Verfügung standen ?« schlug er vor.
Einen schwindelerregenden Augenblick lang spürte ich, wie mir der Boden unter den Füßen schwankte. »Ich verstehe nicht, was ich damit zu tun haben soll!«
Lothar hatte unser Spiel aufgegeben und tippte mit der Queuespitze zerstreut gegen die Kugeln.
»Wir haben sie damals beide bei dieser einen Gelegenheit getroffen«, setzte ich hinzu.
»Richtig. Rue de Londres. Aber war sie nicht auch Ihre Patientin im Hôpital?«
»Ich bin ihr von Zeit zu Zeit begegnet. Genau wie viele andere
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