Das geheime Leben des László Graf Dracula
ich.
»Ich bin ein Zigeuner, Graf. Ich bringe Ihnen eine Botschaft und Glück.«
Ohne weitere Anweisungen abzuwarten, bahnte er sich seinen Weg durch das Gebüsch. Als er sich dann wieder aufrichtete, sah ich, daß es einer von Rados Männern war.
»Und was ist Ihre Botschaft?«
»Alles geht voran wie geplant. Ihr Gast kommt am Abend des Dreizehnten an, wie vorgesehen. Sie treffen ihn um Mitternacht in der Schlucht, in der Sie mit dem Oberst gejagt haben, und bringen ihn zurück zum Schloß.«
NACHMITTAG
»Wir haben uns so gefreut, vergangene Woche Ihre Nachbarn zum Essen getroffen zu haben«, sagte Nicole beim Tee. Natürlich war das eine freundlich gemeinte Lüge. Sie und meine anderen Gäste hatten so gut wie nichts miteinander anfangen können, und der Abend war eine Katastrophe gewesen.
»Ich hoffe, wir werden noch einige andere Familien aus dieser Gegend kennenlernen«, fügte sie unbeirrt hinzu.
Elisabeth schien jedoch ganz zufrieden und erwähnte Leute, die wir seit Jahren nicht mehr gesehen hatten, muffige alte Landaristokraten, mit denen Nicole und Lothar sich zu Tode gelangweilt hätten. Sie glaubt noch immer, daß Nicole nach einem passenden Ehemann für Stephanie Ausschau hält.
»Und gibt es da nicht ein großes Landgut im Norden von uns?« fragte Nicole.
»Graf Aponyis Gut?«
»Ach ja?« Nicole tat, als hörte sie diesen Namen zum erstenmal, obwohl ich mir sicher war, daß er schon in früheren Gesprächen aufgetaucht war.
»Also, das wäre ein Name, auf den Sie Ihr Augenmerk richten sollten«, sagte Elisabeth zu Stephanie.
»Er muß an die siebzig Jahre alt sein«, wandte ich ein.
»Aber haben ältere Männer nicht auch ihre Vorzüge?« fragte Stephanie mit einem koketten Augenaufschlag, woraufhin die ganze Runde in Lachen ausbrach.
»Sicher spricht einiges dafür, einen Mann zu heiraten, der schon mit einem Fuß im Grab steht«, meinte Lothar. »Vor allem, wenn er einer der reichsten Männer im ganzen Kaiserreich ist.«
»Wirklich?« rief Elisabeth. »Er war all die Jahre praktisch unser Nachbar, und wir wußten nichts davon!«
»Ich möchte aber aus Liebe heiraten«, verkündete Stephanie. Verlegenes Schweigen trat ein. Es war nicht so sehr der Gedanke selbst als vielmehr die Inbrunst, mit der sie gesprochen hatte, die uns Ältere schockierte und auch beschämte. Vielleicht erinnerte uns Stephanies Anspruch auf Leidenschaft daran, wie hohl unsere eigenen Ehen waren.
Schließlich meinte Nicole mit aufgesetzter Fröhlichkeit: »Wäre es nicht schön, den großen alten Mann kennenzulernen?« Sie warf Lothar einen Blick zu, wie um sich seiner Unterstützung zu vergewissern.
»Ich kenne den Grafen flüchtig«, meinte Lothar.
»Aber warum statten Sie ihm dann nicht einfach einen Besuch ab?« schlug ich vor. »Jakob kann Sie in der Kutsche hinbringen.«
»Eigentlich ist es schon eine ganze Weile her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, sagte Lothar.
»Vielleicht sollten wir alle mitkommen«, meinte Nicole. »Dann wäre es einfach nur ein Höflichkeitsbesuch unter Nachbarn. Sie stehen doch hoffentlich noch in Kontakt zueinander, László.«
»Ich fürchte, der Graf und ich sprechen nicht miteinander.«
»Aber warum denn nicht?« fragte sie mit einem nervösen Lachen.
»Er hat mir nie verziehen, daß ich dafür gesorgt habe, daß die Eisenbahnlinie durch dieses Tal fährt und nicht durch seines. Er glaubt, ich hätte ihn übervorteilt. Na ja, er ist eben ein schlechter Verlierer.«
Nicole sah mich bestürzt an, doch im nächsten Moment hatte sie sich wieder gefangen. Zumindest äußerlich ließ sie sich nichts davon anmerken. Nachdem sie sich mit einem Blick vergewissert hatte, daß keine Diener mehr anwesend waren, wandte sie sich an Lothar: »Sollen wir es ihnen sagen?«
Bei Lothar hatte ich nicht das Gefühl, daß er sein Wissen preisgeben wollte, aber schließlich gab er mit einem dünnen Lächeln nach. »Erzähl es, meine Liebe«, brummte er.
»Wir wissen aus zuverlässiger Quelle«, begann Nicole mit verschwörerischer Miene, »daß Graf Aponyi diese Woche einen ganz besonderen Gast empfangen wird.« Sie sah uns nacheinander mit bedeutungsvoller Miene an. »Kronprinz Rudolph!«
Ich glaube, wir haben sie enttäuscht. Sowohl Elisabeth als auch ich brachten bestenfalls höfliche Überraschung zustande.
»Zu so erlauchten Kreisen hatten wir bislang keinen Zugang«, meinte Elisabeth matt.
»Papa ist dem Kronprinzen schon mehrmals begegnet«, verkündete Stephanie
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