Das geheime Leben des László Graf Dracula
mich damals zum Beten in diese Kirche gebracht hatte, und an ihr einsames Exil fern von der Heimat. Hier hatte sie Trost gesucht, aber der Priester hatte ihre in Frankreich geprägte Form der Gottesverehrung abgelehnt und sie stets mit kühlem Mißtrauen behandelt. Sie hatte Frankreich zu einer Art Religion erhoben, und mich hatte sie als ersten und einzigen bekehrt. Welch große Hoffnungen sie in mich gesetzt hatte! Ich sollte ein Künstler werden, ein Schriftgelehrter, ein Wissenschaftler.
Vielleicht betete ich nun doch. Ich weiß, daß ich Tränen vergoß und in stummer Inbrunst um Vergebung bat. Ich vergaß meine Umgebung. Meine Reue, ja mein Abscheu vor mir selbst ging so weit, daß ich fast aus der Kirche gestürmt wäre und Hand an mich gelegt hätte. Damit hätte ich wohl dem natürlichen Rechtsempfinden Genüge getan, aber dann erschien mir dieser Weg als zu unehrenhaft. Mit einer solchen Tat durfte ich einfach nicht den Namen meiner Familie beschmutzen.
Eine engelhafte Stimme riß mich aus meinen düsteren Gedanken. Ich hob den Kopf und blinzelte in die Richtung, aus der die herrlichen Töne kamen. Gregor stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen da und lauschte andächtig.
Bis auf eine Person hatten sich alle Chormitglieder gesetzt. Und jetzt erst erkannte ich sie. Es war Helene. Ich hatte sie seit der Epidemie nicht mehr gesehen.
Den Blick starr nach oben gerichtet, sang sie das »Ave Maria«. Ihr seidiges Haar glänzte im Licht der Kerzen, und es sah aus, als wäre sie das einzige Lebewesen an diesem Ort. Ihr reiner, jungfräulicher Ton hielt mich in seinem Bann, meine Augen schwammen in Tränen, und dann rann das salzige Naß brennend wie Säure über meine Wangen. Doch im Kern dieses Gefühls regte sich noch etwas anderes – mein Verlangen nach ihr.
Welch eine gräßliche Perversion meine Begierde doch ist! Sie packt das Schöne, das Einzigartige, beschmutzt es, zerreißt es in Stücke, bis nichts mehr davon übrigbleibt. Was für ein Fluch lastet auf mir, daß alles Schöne und Reine an den Frauen nur immer das abgrundtief Böse in mir hervorruft? Helene berührte mein Herz und weckte meine dunkelsten Instinkte. Ich mußte sie haben, mußte sie vertilgen. Wie ist es möglich, daß sich dieses erhabene Gefühl mit einem so abscheulichen Verlangen vermischen kann? Sie sind nicht getrennt; das eine geht aus dem anderen hervor. Ich bin erfüllt von Bewunderung für die Schönheit ihres Geistes, mein Herz fühlt sich zu ihr hingezogen, auf Händen möchte ich sie tragen. Ist das der Liebe nicht sehr ähnlich?
Im Kern dieser zarten Gefühle liegt eine Wildheit ohne Hast. Es ist die Zärtlichkeit, die mich verführt, die mich zu meinem Opfer leitet. Die Liebe ist das Vorspiel. Sie steigert das Verlangen und heiligt meinen blutigen Liebesbeweis. Liebe ist blind; die Grausamkeit, zu der sie mich führt, wird sie nie sehen. Der Liebesschmerz, den ich in jenem Augenblick für Helene verspürte, ist mein wahres Wesen. Und dann... ich mußte sie ganz und gar besitzen.
Ich wartete in einer dunklen Gasse in der Nähe der Kirche, bis Helene in Begleitung dreier Kameradinnen auf der Straße vorbeikam – allein traute sich keine Frau mehr aus dem Haus. Ich nahm die Verfolgung auf. Um sie nicht aufzuschrecken, hielt ich allerdings reichlich Abstand. Sie waren noch nicht weit gegangen, als zwei von ihnen sich verabschiedeten und in eine Seitenstraße einbogen.
Ich trödelte, um den Abstand zwischen mir und Helene und der anderen Frau noch größer werden zu lassen. Vor einem Haus – offenbar dem Zuhause von Helenes Freundin – blieben sie stehen und sahen sich ängstlich um, denn von nun an würde Helene allein weitergehen müssen. Sichtlich nervös beratschlag-ten sie, was sie tun sollten. Ich überlegte, ob meine Gegenwart sie zusätzlich ängstigte und verschwand der Vorsicht halber in einer Seitengasse.
Mit schnellen Schritten lief ich um zwei weitere Ecken und erreichte wieder die Hauptstraße. Unmittelbar vor mir ging Helene.
»Helene!« rief ich.
Sie erschrak beim Klang meiner Stimme, blieb aber stehen und drehte sich um.
»Wer sind Sie?« fragte sie.
Sie klang ziemlich verängstigt. Als ich auf sie zutrat, machte sie einen Schritt nach hinten und sah sich nervös um, ob noch andere Leute in der Nähe waren.
Aber in diesem Augenblick kam der Mond kurz hinter einer Wolke hervor und spendete etwas Licht. Endlich erkannte sie mich wieder.
»Großer Gott, Herr Graf, haben Sie mich
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