Das geheime Leben des László Graf Dracula
stolz.
»Tatsächlich?« fragte Elisabeth. »Lothar, ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie ein so prunkvolles Leben führen.«
»Das war einmal«, wehrte er bescheiden ab. Bescheidenheit bei Lothar ist immer verdächtig. »Jetzt bin ich nur noch ein Beamter von vielen.«
»Nein, das bist du nicht!« brach es aus Nicole hervor.
»Vorübergehend nur ein Beamter von vielen«, räumte er ein.
»Deshalb sind Beziehungen zu Mitgliedern des Hofes so wichtig«, fuhr Nicole fort. »Ein Wort vom Kronprinzen, und schon wäre uns geholfen.«
»Wenn ich nur für einen Augenblick mit ihm sprechen könnte. Er ist wirklich ein schrecklich anständiger Bursche.«
Nicole schenkte mir ihr verführerischstes Lächeln. Fast fühlte ich mich in die Zeit unserer Jugend zurückversetzt. Wie hatte sie mir doch damals den Kopf verdreht! »László, ich wünschte, Sie könnten sich mit dem alten Grafen Aponyi aussöhnen. Wollen Sie das nicht um der alten Zeiten willen versuchen? Es ist doch albern, daß irgendeine dumme Eisenbahn Lothar den Weg verbaut!«
ABEND
Es ist Dämmerung, die Zeit, in der das Licht der Vernunft getrübt ist und dunkle Regungen die Oberhand gewinnen. Ich bin meiner Fesseln ledig. Ich bin unbewacht. Die ganze weite Welt liegt vor mir. Wenn ich nur für einen Augenblick den Griff lockere, wird der monströse Drang übermächtig, und ich verliere mich.
Stephanie findet immer wieder eine Gelegenheit, mit mir allein zu sein. Es sind nur kurze Begegnungen, aber ich erkenne die Zeichen. Sie sucht das Abenteuer. Sie will Erfahrungen sammeln, um zu der Art Frau zu werden, die sie so gern sein möchte: weltgewandt, erfahren, zynisch, obwohl sie noch zu jung ist, um zu wissen, wie steril, wie sterbenslangweilig gerade letzteres sein kann. Unsere Finger berühren sich, wenn ich ihr bei Tisch Dinge reiche, und ihre Blicke sprechen Bände. Die Frauen machen sich einen Spaß daraus, mich wegen ihrer Vernarrtheit zu necken. Anscheinend halten sie es für ein harmloses Flirten, aus dem schon deswegen nichts Schlimmes entstehen kann, weil sie alles mitbekommen.
Ich verspüre den Drang umherzustreifen. In dieser Hinsicht mache ich mir keine Illusionen. Mein Jagdinstinkt ergreift wieder von mir Besitz. Ich gebe mich grotesken Phantasiebildern hin – nur aus der Konvention heraus nenne ich sie grotesk, denn für mich persönlich sind sie präzise, passend und so zutiefst natürlich, daß ich mir zu manchen Zeiten nicht vorstellen kann, daß ich der einzige sein soll, der insgeheim solchen Gedanken nachhängt.
Beim Mittagessen plazierte Stephanie ihre Hand aufreizend nahe in meiner Reichweite. Es kostete sie einige Mühe, ihren vol au vent mit nur einer Hand auf die Gabel zu schaufeln, aber die andere blieb liegen, wo sie war. Sie war blaß und vielleicht ein bißchen kalt, aber auf dem weißen Damasttischtuch kam das zarte Rosa der Knöchel und Fingerspitzen prächtig zur Geltung. Die Finger waren so betörend grazil, daß mich der Drang packte, in den Daumenballen zu beißen, daran zu saugen, tiefer ins Fleisch hineinzubeißen, bis meine Zähne auf die Bänder und Sehnen stießen und nicht weiter vorankamen. Ist das grotesk?
Für diejenigen vielleicht, die zu prüde sind, um ihre wahre Natur zu erkennen.
Aber wenn wir mit solcher Wollust die Zähne in den ersten Pfirsich des Jahres versenken und den süßen Saft über die Lippen rinnen und vom Kinn tropfen spüren, müssen wir doch auch die Sinnenfreude ermessen können, die manche von uns beim Verzehr der Hand einer Jungfrau durchströmt? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich allein sein soll.
Nach dem Essen werde ich verkünden, daß ich einen Spaziergang in die Stadt machen und Gregor einen Besuch abstatten werde. Lothar wird spotten, ich wolle doch nur meine Seele versichern lassen. Nur zu gern würde ich ihn auffordern mitzukommen, aber ich kann mich nicht darauf verlassen, daß er das Angebot ablehnt. Er war in den letzten Tagen ziemlich gereizt und beobachtet mein Kommen und Gehen genau.
Elisabeth wird nervös lächeln, weil ich nun doch wieder das Schloß unbeaufsichtigt verlasse. Aber wenigstens habe ich vor Zeugen mein Ziel genannt. Und wenn sie will, daß ich langsam wieder mein früheres Leben aufnehme, muß sie mich ja irgendwann gehen lassen. Es ist nicht ungefährlich, aber was könnte heilsamer sein als ein Gespräch mit Gregor.
Ich bin mir über die Risiken im klaren. Andererseits habe ich wirklich vor, Gregor zu besuchen. Zwar habe ich mir in der
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