Das geheime Leben des László Graf Dracula
schuldig, es sich wenigstens anzusehen. Sie studieren doch die menschlichen Verhaltensweisen. Sie können nicht alles aus den Büchern erfahren. Das hier ist die Wirklichkeit. Da drin sind wirkliche menschliche Wesen. Woher, glauben Sie wohl, haben die Professoren ihre Fallstudien, über die sie schreiben? Die befinden sich auf der anderen Seite von dieser Tür und warten darauf, Sie kennenzulernen. Warum tun Sie nicht einfach so, als wäre es eine Freitagsvorlesung Ihres Professors Charcot? Ich verspreche Ihnen, daß Sie nicht enttäuscht sein werden.«
Ich gebe zu, daß ich neugierig war, denn ich war noch nie in einem Bordell gewesen. Georg, der einst aus irgendeiner gottverlassenen Garnisonsstadt auf Urlaub nach Budapest gekommen war, hatte mich überreden wollen, ihn in ein Haus mit sehr schlechtem Ruf, das die Männer von der Kavallerie bevorzugten, zu begleiten, aber ich hatte nicht gewollt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, diesen Akt an einem solch deprimierenden Ort zu vollziehen. Und so hatte ich enthaltsam wie ein romantischer Mönch gelebt, der ein Keuschheitsgelübde für die Liebe abgelegt hat. Es war das Bild des Mädchens Nicole, das all die Jahre mein Talisman und meine Stütze gewesen war. Aber jetzt ließ sich dieses Traumbild mit der wirklichen Nicole aus Fleisch und Blut schwer in Einklang bringen. Der Traum verblaßte und verwelkte wie eine gepflückte Blume.
»Sie brauchen überhaupt nichts zu tun, wissen Sie«, sagte Lothar schmeichlerisch, während er mir aus der Kutsche half. Heiser flüsterte er in mein Ohr: »Wenn Sie wollen, können Sie auch nur zusehen !«
»Sie meinen, wenn andere es tun?«
»Ja! Das ist ein großer Spaß.«
»Wissen sie es?«
»Hmm, ich bin mir nicht sicher. Das macht es ja so interessant. Es ist viel ehrlicher, wenn sie es nicht wissen.«
Lothar schlug laut mit dem Messingklopfer an die Tür, und nach einem Augenblick glitt die Abdeckung eines Spions zur Seite. Man betrachtete uns mehrere Sekunden lang. Anscheinend kannte man Lothar, denn die Person hinter der Tür machte uns wortlos auf. Eine Frau unbestimmten Alters, die nicht unkultiviert aussah und ein schlichtes schwarzes Kleid trug, das sie vom Hals bis zu den Knöcheln einhüllte, bat uns einzutreten.
»Madame«, sagte Lothar, ergriff ihre Hand und verbeugte sich. »Ich habe die Ehre, Ihnen...« Und er stellte mich wieder als ›den Grafen‹ vor. »Er ist heute abend mein Gast.«
Sie bedeutete uns, ihr durch die Eingangshalle zu folgen, aber ich hielt Lothar zurück.
»Ich bin nur zum Zuschauen hier«, zischte ich.
Er zuckte die Achseln. »Tun Sie, was Sie wollen.«
»Ich will, daß das klar ist.«
»Ich verstehe. Ihr Interesse ist rein wissenschaftlich.«
Ich suchte die ironisch hochgezogenen Augenbrauen, mit denen Lothar stumm seine Belustigung über meine Selbsttäuschung ausdrückte, konnte aber keine Anzeichen von Spott entdecken.
Madame führte uns durch die Eingangshalle in ein kleines Zimmer, das ihr als Büro zu dienen schien, und goß für jeden ein Glas Wein ein. Wir tranken auf ihre Gesundheit. Dann lehnte sie sich schweigend zurück und sah uns erwartungsvoll an.
»Vielleicht«, begann sie und sah mich an, »wenn Sie mir sagen könnten, welche Vorstellungen Sie haben...«
»Mein Freund ist sehr sittsam«, antwortete Lothar für mich.
»Ah«, sagte Madame, offenbar entzückt. Sie sah mich mit neuem, professionellem Interesse an und nickte nachdenklich mit dem Kopf.
Als sie, wie um mich zu beruhigen, meine Hand ergriff, wäre ich fast zusammengezuckt.
»Kommen Sie schon, Graf«, sagte sie beruhigend. »Sie brauchen nicht schüchtern zu sein. Ich werde Sie schon nicht beißen.«
Mit diesen Worten nahm sie meine Hand und legte sie mütterlich auf ihren Schoß, während sie mich ansah. Panik stieg in mir auf, und ich verspürte den schier unbezähmbaren Wunsch, von diesem Ort wegzulaufen. Madame streichelte meine Hand, während sie in Gedanken verschiedene Möglichkeiten durchging, und ich spürte, wie dieses Gefühl der Panik immer stärker wurde, bis es der prickelnden Erregung des Augenblicks glich, in dem ich vor Stacia im Auditorium gesessen hatte und ihre Augen, ohne mich zu erkennen, über mich hinweggeglitten waren.
»Ich würde gern die...«
»Damen kennenlernen«, sprach Madame den Satz zu Ende. »Aber natürlich.
Gehen wir in die Salons. Das ist die beste Art anzufangen.« Ich zog meine Hand zurück und war froh, als sie ihre Aufmerksamkeit Lothar widmete.
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