Das geheime Leben des László Graf Dracula
»Und Sie, mein Herr? Ich denke, Sie finden sich zurecht. Sie wissen ja immer ganz genau, was Sie wollen.«
Sie stand auf und bat mich, ihr zu folgen. »Ich werde Ihnen jetzt die Damen vorstellen.« Als wir die paar Stufen der Haupttreppe in die Salons hinaufgingen, hörte ich gedämpfte Geräusche, die ich nicht zu identifizieren vermochte, die aber aus dem darüberliegenden Stockwerk kamen. Madame warf einen Blick nach oben und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Dann ging sie weiter. Plötzlich blieb sie wie erstarrt stehen. »Wenn Sie es vorziehen sollten, Graf, wir haben natürlich auch Jungen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie sind sehr gefällig.«
»Danke, nein«, sagte ich und kam mir lächerlich höflich vor, so, als würde ich auf einer Einladung zum Tee das zweite Stück Torte ablehnen.
»Man kann nie wissen. Da Sie ein Freund von Herrn von Pick sind«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, während sie mich aufmerksam musterte. Dann drehte sie sich um, um weiterzugehen. »Ein Mann mit sehr verschiedenartigen Interessen«, murmelte sie.
Sie schob mich in ein Zimmer, das genausogut der Salon im Haus einer wohlhabenden Familie hätte sein können. Die junge Dame am Klavier hätte eine sittsame Lehrerin sein können. Sie stellte sich als Lola vor und fragte mich, ob es ein Musikstück gäbe, das ich gern hören würde. Ich sagte ihr, daß ich mich über etwas von Strauß freuen würde, und sie spielte sehr geschickt einen Walzer. Ein Herr in der Ecke des Zimmers, den ich vorher nicht bemerkt hatte, wachte auf und lief hinaus, um eine Tanzpartnerin zu suchen.
Ich hörte das schallende Gelächter eines Mannes und das Kichern mehrerer Frauen aus dem angrenzenden Zimmer und ging nach einem kurzen Zögern hinein, um nachzusehen. Ich fand einen etwa fünfzigjährigen Mann, der sich auf einem Sofa zurücklehnte, und auf ihm und um ihn herum drei junge Frauen in Unterwäsche in verschiedenen Posen. Mit seinen weichen Gesichtszügen und seinem weißen Bart sah er wie ein Bacchus aus einem mythischen Gemälde aus.
An irgendeinem Punkt dieses Abends mußte er einen Abendanzug getragen haben, aber jetzt fehlten ihm seine Jacke und sein Hemd, so daß er an seinem Oberkörper nichts weiter anhatte als seine Ärmelstulpen und seinen Kragen.
»Nehmen Sie sich, wen Sie wollen!« rief er mir zu. »Ich habe nichts dagegen.
Ich bin fix und fertig. Völlig fertig. Würde ihn auch dann nicht mehr hochkriegen, wenn die göttliche Sarah selbst hereinspaziert käme und mich bitten würde, es zu tun.«
Die Mädchen lachten und neckten ihn, zwickten ihn am Bart und fuhren mit den Händen über seinen Bauch.
»Gnade!« rief er prustend.
»Lassen Sie sich nicht stören«, sagte ich, und es klang lächerlich höflich.
Dann ging ich weiter.
Das nächste Zimmer hätte ein Café oder die Bar in einem Herrenclub sein können. An der einen Seite stand wachsam ein Kellner, und an den Tischen saßen mehrere Herren mit Frauen des Hauses. Die Männer wirkten entspannt, hatten ihre Jacken abgelegt und tranken ihren Wein in Hosenträgern. Alle fühlten sich in dieser lockeren Atmosphäre offenbar sehr behaglich und richteten an jeden, der an einem anderen Tisch saß, das Wort, egal, wer es war.
Ich fand Lothar in ein Gespräch mit Madame vertieft, aber sie stand auf und verließ ihn, als sie mich kommen sah.
»Waren Sie schon oben?« fragte er. Ich verneinte. »Dann brauchen Sie noch etwas Champagner«, entschied er.
Anscheinend war das das einzige Getränk, das hier serviert wurde. Ich war sehr durstig und trank in großen Schlucken. Dabei hielt ich den Blick gesenkt, weil ich niemanden mit meiner Neugier beleidigen wollte, aber meine Aufmerksamkeit richtete sich insgeheim auf vier Damen, die an einem Tisch an der Seite saßen. Lola kam hereingeschlendert und gesellte sich zu ihnen.
Lächelnd winkte sie mir zu, aber ich bemühte mich, sie nicht zu ermutigen.
»Wer ist das?« fragte Lothar.
»Lola, die Klavierspielerin. Ich habe sie im anderen Zimmer kennengelernt.«
»Die habe ich nicht gemeint, sondern die andere, von der Sie nicht den Blick lösen können.«
Lothar besitzt eine unheimliche Gabe, auch das leiseste Interesse eines anderen zu registrieren, oder überhaupt jedes Gefühl, das sich bei jemandem, mit dem er gerade zusammen ist, über das Normale hinaus erhebt. Darin gleicht er einem Jagdhund, der das Wild meilenweit riechen kann. Tatsächlich hatte ich mein Augenmerk auf eine der Frauen am Tisch gerichtet,
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