Das geheime Leben des László Graf Dracula
hinaus und fand dort den jungen Mann, dessen früheres Benehmen mir gegenüber fast unverschämt zu nennen gewesen war. Jetzt sah ich mit Genugtuung, wie außerordentlich unbehaglich er sich fühlte, nachdem er eine Stunde oder mehr herumgeirrt war, verloren in einer Irrenanstalt, orientierungslos und schwitzend und zweifellos ängstlich vermeidend, irgendwelche Patienten nach dem Weg zu fragen, um sie ja nicht zu reizen. Gleichwohl war ihm seine Erleichterung jetzt anzusehen, als er sich bemühte, mir den Respekt zu erweisen, an dem er es zu früheren Gelegenheiten hatte mangeln lassen, denn er muß gespürt haben, daß seine Rückkehr in die normale Welt von meinem Wohlwollen abhängen könnte.
Wie wunderbar von Nicole, ihn in dieses Abenteuer zu schicken! Denn die Karte, die er mir überreichte, stammte von ihr, mit tausend Entschuldigungen für die unangemessene Art der Einladung, aber mit dem Hinweis, daß ich, der selbst ein Dichter war, Nachsicht üben würde. Die Berthiers gaben an diesem Abend einen Empfang für einen Dichter (ein Name, den ich nicht kannte), der eingewilligt hatte, aus seinen letzten Werken vorzulesen.
»Ich wäre entzückt!« kritzelte ich auf die Rückseite der Karte und reichte sie dem Mann zurück. Inzwischen waren wir von Zuhörern umringt. Die Patientinnen starrten uns offen an, die Schwestern unterbrachen ihre Arbeit, und sogar ein paar der anderen Ärzte machten sich in unserer Nähe zu schaffen. Ich beauftragte einen Aufseher, dem Lakai den Weg zum Haupttor zu zeigen. Als ich wieder zu der Patientin hinter den Trennwänden ging, hörte ich Getuschel.
Später am Nachmittag, als ich die Station vorzeitig verließ, sahen sie mir verstohlen nach und stießen sich gegenseitig an. Die Menschen um mich herum beobachteten mein Kommen und Gehen, und ich bin wohl drauf und dran, mir einen Ruf als ein Mann mit Geheimnissen zu erwerben, als ein Mann mit Freunden an hoher Stelle.
Ich mußte früher weg, um noch rechtzeitig in dem Schneiderladen zu sein.
Eigentlich hatte ich meine letzte Anprobe hinausschieben wollen, weil ich mir im Moment den Anzug unmöglich leisten konnte. Lothars forsche Reden über das Recht eines Gentleman, Kredit aufzunehmen, mochte für einen Mann mit seinen Mitteln schön und gut sein, und in seiner Gesellschaft hatte ich irgendwie seine Art zu denken angenommen, was nach meiner sehr strengen Erziehung eine wahre Befreiung gewesen war. Im nachhinein glaube ich, daß er mich verzaubert haben muß. Aber dieses Gefühl der Unbekümmertheit war bereits am nächsten Tag verflogen, und seither habe ich mich schon vor dem Tag der Abrechnung gefürchtet, an dem der Geschäftsführer mit einer Meute Geldeintreiber vor meiner Tür steht.
Aber jetzt brauchte ich den Anzug einfach doch. Ich wollte nicht wieder in meinem Erbstück, wie Lothar es ausgedrückt hatte, als der arme Verwandte im Hause Berthiers auftauchen. Wer weiß, was die Leute hinter meinem Rücken tuscheln würden? Aber am wichtigsten ist mir, daß Nicole sich meiner nicht schämen muß. Ich ertrage es nicht, daß sie mich als ihren Cousin vom Lande, als einen Hinterwäldler aus Transsylvanien betrachtet. Vielmehr wünsche ich mir, daß sie in mir einen hoffnungsvollen jungen Wissenschaftler und Arzt sieht, einen Mann mit strahlender Zukunft, der sich mit tout le monde verbindet.
Ich habe den Anzug schon einmal anprobiert. Heute morgen, als ich auf dem Weg zum Hôpital hätte sein sollen, war ich schnell dort, und der Geschäftsführer hat mir versichert, daß er am Abend fertig sein würde. Schon bei dieser ersten Anprobe war der Anzug ein Wunder an Eleganz, und ich sehnte mich danach, ihn zu besitzen. Ich träumte davon, daß sich alle bewundernd zu mir umdrehten, wenn ich Madame Berthiers Salon betrat, und daß die Frauen sich gegenseitig flüsternd fragten: Wer ist dieser Mann?
An diesem Nachmittag zupfte der Geschäftsführer nervös an mir herum. Ich glaube, er war erleichtert, weil ich tatsächlich gekommen war, um den Anzug in Besitz zu nehmen. Der Sitz ist einfach perfekt. Die Hose hebt meine Figur auf vorteilhafte Weise hervor, ohne die Bewegungsfreiheit einzuschränken, und die Jacke hat die richtige Mischung aus modischem Chic und schlichter Eleganz.
Ich drehte mich vor den drei Spiegeln um mich selbst, um das prächtige Ding von allen Seiten in Augenschein zu nehmen. Wie seltsam, seinen eigenen Hinterkopf einzufangen oder sich von der Seite zu betrachten! Sich selbst zu studieren! Wenn man
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