Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
Vom Netzwerk:
Glauben an ihr gottgegebenes Recht, ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken –, hatte die betreffende Person den Zettel gelesen. Ich konnte nur hoffen, daß ich unerkannt blieb.
    Ich fand Roland in der Bibliothek, und nach längerem Hin und Her entschloß ich mich schließlich, ihn ganz ruhig zu fragen, ob er einen Zettel gesehen hätte, der mir heruntergefallen war, als ich die Patientin untersuchte.
    »Sie haben mir Ihr Notizbuch gegeben«, sagte er mit abwesender Miene, ohne von der Monographie aufzublicken, in die er vertieft war. Ich zögerte, ob ich ihn bitten sollte, noch einmal darüber nachzudenken, denn dann würde ich der kleinen Ungelegenheit, als die ich es hinstellen wollte, zu viel Bedeutung beimessen. Aber vor allem wollte ich es vermeiden, seine Neugier zu wecken.
    Ich muß einen Augenblick zu lange über ihn gebeugt stehengeblieben sein, denn er blickte auf. »Tut mir leid«, sagte er. »War es wichtig?«
    »Nein«, versicherte ich etwas zu hastig. »Ein paar Notizen, die ich mir gemacht habe, als ich eine Patientin untersucht habe. Flüchtige Notizen. Es ist nur, weil ich keine Lust habe, die Untersuchung noch mal zu wiederholen.«
    »Wirklich in Ihrem Notizbuch?«
    »Bestimmt taucht der Zettel früher oder später wieder auf. Wahrscheinlich habe ich ihn in Gedanken irgendwo hingelegt.«
    »Sie hatten wirklich Glück, daß Sie auf den Knoten gestoßen sind. Ich hätte nie geglaubt, daß Sie ihn finden.«
    »Ja, das war Glück.«
    »Kein Grund, darauf stolz zu sein, wissen Sie.« Er hörte sich etwas verstimmt an. »Einen supraklavikularen Lymphknoten zu finden mag vielleicht in Budapest eine große Sache sein, aber in Paris ist das eine Selbstverständlichkeit.«
    »Jeder hätte ihn finden können. Zufällig war ich derjenige, das ist alles.«
    »Genau das wollte ich Ihnen ja sagen. Sie sollten nun nicht glauben, daß Sie, nur weil Charcot Sie rein zufällig bei einer Demonstration herausgepickt hat, jetzt etwas Besonderes wären.« Er kicherte, aber es klang etwas gezwungen, als wollte er mir zeigen, daß ihm die ganze Sache völlig egal war. »Alle haben ihn gefunden, wissen Sie«, sagte er, schon wieder in sein Buch vertieft. Sein Neid kränkte mich, denn ich hatte geglaubt, daß wir trotz unserer unterschiedlichen Herkunft schon so etwas wie Freunde geworden waren.

    Im Salpêtrière herrscht ein unerbittlicher Konkurrenzkampf; es werden nur ganz wenig feste Stellen frei, und die Assistenten bekommen nur eine geringe Entlohnung. Man will, daß ein Arzt seine Arbeit hier nur vorübergehend ausübt, um seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Neurologie zu vertiefen, und dann dorthin zurückgeht, woher er gekommen ist. Allerdings bemüht sich jeder, der bis in dieses medizinische Mekka vorgedrungen ist, nun auch hierzubleiben, was zur Folge hat, daß erwachsene Männer auf untergeordneten Posten arbeiten und darum wetteifern, sich bei ihren Vorgesetzten hervorzutun. Beförderung hängt von Anerkennung ab, aber wie soll man es anstellen, anerkannt zu sein?
    Ich nehme an, der Lymphknoten war eine solche Gelegenheit.
    Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, da wir uns nie so nahegekommen sind, um über diese Dinge reden zu können, aber ich vermute, daß Roland sogar über noch weniger Mittel verfügt als ich und daß seine Familie nicht in der Lage ist, ihn zu unterstützen. Vielleicht hat er aber auch gemerkt, daß mir diese Gelegenheit, mich auszuzeichnen, die für ihn selbst so wichtig war, nichts bedeutet hat. Dieses Geschenk, eine Chance zu bekommen, war bei mir, diesem aristokratischen Dilettanten, vergeudet. Zweifellos schürt dieser Vorfall seine republikanischen Gefühle, aber mir wäre der Zettel lieber.
    Am Nachmittag ereignete sich etwas, das Rolands Vorurteile mir gegenüber nur noch mehr angestachelt haben muß. Der Lakai der Berthiers erschien auf meiner Station, begleitet von mehreren kriecherischen Speichelleckern, die ihm angeblich bei der Suche nach mir halfen, in Wirklichkeit aber nur ihre Neugier befriedigen wollten. Im Hôpital gibt es eine ganze Menge alte Männer und Frauen, die anscheinend nichts anderes zu tun haben, als Dinge auszuspionieren und weiterzugeben und, wie ich annehme, für verschiedene kleine Gefälligkeiten Bestechungsgelder zu kassieren.
    Ich hörte die plötzliche Unruhe hinter den Trennwänden, die um das Bett der Patientin aufgestellt waren, die ich gerade untersuchte, achtete aber nicht weiter darauf, bis ich meinen Namen hörte. Ich ging

Weitere Kostenlose Bücher