Das geheime Leben des László Graf Dracula
jetzt sofort«, gurrte sie. Sie ermutigte mich, schmeichelte mir, zog mich auf eine verführerische Art auf ihre Seite, und am Ende wollte ich gar nicht, daß sie aufhörte. »Wenn Sie mir sagen, daß es ihr wieder bessergeht.« Sie legte ihre Hand auf meine Hand, um das Versprechen zu besiegeln.
Als wir am Haus ihrer Eltern ankamen, begleitete ich sie die Vordertreppe hinauf, und als der Lakai die Tür öffnete, schob ich mich hinter ihr hinein. Im stillschweigenden Einvernehmen warteten wir so lange, bis sich das Klappern seiner Absätze auf dem Marmorboden im Flur entfernte, und zum erstenmal an diesem Tag waren wir allein. Ich hatte Nicole noch nie scheu gesehen. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie mir schon längst Lebewohl sagen und diese gefährliche Begegnung beenden können. Aber sie blieb.
»Ich bin froh, daß ich bei der Demonstration dabei war«, sagte sie. Es war eine lahme Erklärung, aber die Spannung des Augenblicks und ihre Verlegenheit verrieten mir, daß sie mir damit etwas sagen wollte, ohne allzuviel vom wahren Zustand ihrer Gefühle preiszugeben. Bis dahin war mir gar nicht klargewesen, wie schüchtern sie eigentlich ist. In Lothars Gegenwart legt sie eine Keckheit an den Tag, die, wie ich jetzt erkannte, gar nicht ihrer wahren Natur entspricht.
»Jetzt wissen Sie, womit ich meine Zeit vergeude.«
»Ich finde nicht, daß Sie Ihre Zeit vergeuden«, sagte sie. Ihre Worte waren ein geheimer Code, der eine Zärtlichkeit vermittelte, die sie noch nicht eingestehen konnte. Wir standen zusammen in der Eingangshalle, ohne uns anzusehen, und je länger die Stille anhielt, um so stärker wurde die Intimität unausgesprochener Gedanken, bis sie kaum noch zu ertragen war.
»Ich hoffe, wir werden Sie am Donnerstag auf unserem Empfang sehen«, sagte Nicole schließlich. Der Klang ihrer Stimme war köstlich. Die unausgesprochene Botschaft ihrer Zuneigung erfüllte meinen ganzen Körper mit einer physischen Erregung. In diesem Augenblick hätte ich eines ihrer abgenützten Wörter gegen alle Zärtlichkeiten Stacias eingetauscht.
»Ich werde an nichts anderes denken, bis ich Sie wiedersehe«, sagte ich zu ihr und ging.
Lothar sah mich forschend an, als ich zum Landauer zurückkam. »Sie haben sich Zeit gelassen«, sagte er spitz, erhielt aber von mir keine Erklärungen.
Einige Minuten lang fuhren wir schweigend dahin. Der Verkehr war inzwischen sehr dicht, und wir kamen nur langsam voran. Lothar war tief in Gedanken versunken, hatte das Kinn in die Hände gestützt, mit denen er sich wiederum auf seinen Spazierstock stützte. Er schwankte leicht, wenn das Fahrzeug anhielt oder wieder losfuhr, schien diese geistige Abwesenheit aber mit irgendeinem inneren Rhythmus zu verbinden. Als er wieder in die Gegenwart zurückkehrte, richtete er seine Augen auf mich, was mir Unbehagen bereitete.
»Stacia«, sagte er, das Gesprächsthema ankündigend, »Sie sollten zu ihr gehen.«
Ich war über den gebieterischen Ton, in dem er diese Aufforderung aussprach, genauso verärgert wie über seine Einmischung in meine Privatangelegenheiten.
»Machen Sie sich nicht lächerlich!« protestierte ich.
»Um Himmels willen, Mann, das arme Mädchen hat sich fast umgebracht!«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Weil Sie der Graf sind.«
Ich wollte nicht, daß er mein wütendes Schweigen als ein Zeichen meiner Zustimmung bewertete. »Das ist eine unerträgliche Einmischung«, fuhr ich ihn an, aber er hatte den Finger genau auf die wunde Stelle meines Gewissens gelegt, die ich vor mir selbst hatte verbergen wollen.
»Man braucht kein Nervenarzt zu sein, um zu entschlüsseln, was sie gesagt hat«, fuhr er beharrlich fort.
»Sie muß Hunderte von Männern gehabt haben.«
»Offenbar nicht.«
»Was wissen Sie von ihr?«
»Daß sie neu war in dem Haus. Keine Reguläre. Keine Hure.«
Diese Worte trafen mich wie ein Schlag. Zwar war ich nach wie vor überzeugt, daß Stacia vor unserer gemeinsam verbrachten Nacht nicht unschuldig gewesen war, aber hatte ich eine ehrliche Frau für meine Ausschweifungen benutzt, eine Frau, die sich zum erstenmal für Geld hergegeben hatte? Ich erkannte jetzt mit schmerzhafter Deutlichkeit, was ich getan hatte. Aber wenn es so war, wie war sie dann zu ihrer Infektion gekommen? »Ich sage Ihnen, ich habe nichts damit zu tun«, wiederholte ich dickköpfig.
»Es ist das einzige Anständige, das Sie jetzt tun können.«
»Ich hätte nicht erwartet, von jemand wie Ihnen eine Lektion in Moral
Weitere Kostenlose Bücher