Das geheime Leben des László Graf Dracula
guten Taten kennen, die László begeht«, sagte Lothar lakonisch.
Sie beachtete ihn nicht. Nicole schien schon seit einiger Zeit Lothars Zynismus überdrüssig zu sein.
»Ich glaube«, fuhr sie fort, »daß sie eine Frau ist, die zu viel geliebt hat. Sie ist nicht naiv. Ich nehme an, daß sie wußte, was sie tat, als sie ihre Tugendhaftigkeit aufgab. Aber sie hat nicht erwartet, daß sie sich in ihren Beschützer verlieben würde. Jetzt hat er sie fallengelassen, und sie stellt fest, daß sie ohne ihn nicht leben kann.«
»Was meinen Sie, László?« fragte Lothar. »Sie müssen uns einen Hinweis geben, ob Nicole dicht an der Wahrheit ist.«
Ich war über Nicole erstaunt. Warum verbrachte diese kluge junge Frau ihre Zeit mit kichernden Mädchen und schmeichlerischen Tagedieben?
»Ich weiß nicht, ob sie tatsächlich verliebt ist«, begann ich vorsichtig. »Ich glaube vielmehr, daß sie es sich nur einbildet, aber sie fühlt sich von dem Drama, der Erregung, dem Abenteuer angezogen. Sie schlüpft in eine Rolle.«
Nicole hörte mir mit einem verzückten, bewundernden Ausdruck zu, ließ meine gestammelten Worte in sich einsinken. »Aber wenn sie eine Rolle spielt, dann tut sie es mit Leib und Seele. Sie gibt ihr Ganzes!«
Kein Zweifel – Nicole war von Stacia fasziniert. Schweifte das Gespräch zu anderen Themen ab, beteiligte sich Nicole nicht daran, sondern saß stumm da, in ihre eigenen Gedanken vertieft. Versuchten wir, sie in unsere Unterhaltung miteinzubeziehen, beantwortete sie unsere Fragen mit abwesender Miene, und schließlich überließen wir sie sich selbst. Ich war erfreut, daß Nicole soviel Begeisterung für meine Arbeit zeigte, aber ihr Interesse an Stacia fand ich unheimlich.
Der Nachmittag war mild, und als wir in die Stadt zurückfuhren, herrschte wenig Verkehr. Die schnelle Fahrt war ein angenehmer Ausgleich für die trägen Stunden, die wir verbracht hatten, und wir genossen sie stumm. Ich ließ mich einlullen von der rhythmischen Bewegung des Wagens und dem gleichmäßigen Klacken der Pferdehufe und vergaß meine Sorgen.
»Ich weiß, was ich tun werde!« sagte Nicole plötzlich.
»Natürlich!« stimmte Lothar ihr zu. Er ist wie ein Jagdhund, bereit, jeder Begeisterung hinterherzujagen.
»Ich möchte Stacia helfen.«
»Wir tun alles, was wir können«, sagte ich vorsichtig.
»Nein, ich würde gern etwas tun, um ihr zu helfen.«
»Aber Nicole, sie ist eine Patientin... Sie braucht die Fürsorge all jener Menschen, die gelernt haben, mit ihren Stimmungen umzugehen — mehr als Sie möglicherweise für sie tun können.«
»Aber sie ist nicht verrückt, das stimmt doch?«
»Nun, ›verrückt‹ ist eigentlich kein Begriff, den wir verwenden ...«
»Lassen Sie uns nicht um Worte streiten. Sie ist doch nicht gefährlich?«
»Nicht bei anderen. Aber wie Sie ja gesehen haben... offensichtlich bei sich selbst.«
Sie dachte eine Viertelstunde lang darüber nach, aber ich ahnte schon, daß sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen würde.
»Mama hat gesagt, daß ich noch eine Zofe haben könnte.«
»Sie werden doch nicht etwa in Erwägung ziehen, sie bei sich aufzunehmen?«
sagte ich und fühlte mich wie gelähmt.
»Wenn sie sich erholt hat«, erwiderte Nicole fröhlich.
»Ich finde das eine wunderbare Geste«, sagte Lothar. Bis dahin hatte er geschwiegen, und ich hatte schon fast geglaubt, daß er so klug sein würde, sich nicht einzumischen, aber jetzt mußte ich feststellen, daß er einfach nur auf einen günstigen Augenblick gewartet hatte. Ich warf ihm einen bösen Blick zu, aber er ließ sich nicht beirren. »Ein schönes Heim. Unter ordentlicher Aufsicht, das wäre eine zweite Chance.«
»Ich habe so selten Gelegenheit, etwas Gutes zu tun – irgend etwas, mit dem ich wirklich etwas bewirken kann. Und jetzt ergibt sich diese Möglichkeit, die mir der Zufall gebracht hat. Ich habe das Gefühl, daß ich das nicht ignorieren darf.«
Nur mühsam konnte ich mein Entsetzen verbergen und stellte mir vor, wie mein Onkel und meine Tante reagieren würden, wenn sie entdeckten, daß ich eine Hure mit Syphilis in ihr Haus gebracht hatte, daß ich dieses vom Schanker befallene Wesen als Zofe ihres einzigen Kindes empfohlen hatte. Aber wäre das denn etwas anderes, als wenn ich selbst dort anwesend bin? Was würden sie sagen, wenn sie wüßten, daß ihre Tochter am Nachmittag einen Vorwand nach dem anderen gefunden hatte, um die Hand dieses infizierten Abschaums zu drücken?
»Nicht
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