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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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wird.
    Während ich die Worte lese, die er an mich geschrieben hat, werde ich von der Angst ergriffen, daß ich ihn vielleicht niemals wiedersehen werde. Der Mensch, der einmal sein Freund war, existiert nicht mehr. Ich fühle, wie ich einen moralischen Abhang hinunterrolle, mit immer größerer Geschwindigkeit.
    Warum fühlt sich Sünde so natürlich an, so angeboren, so instinktiv?
    Wenn ich Stacia im Hôpital begegne, ist sie ein Bild der Tugend. Entweder ignoriert sie mich, oder sie nimmt mich, wenn eine Begegnung unvermeidbar ist (und ich gestehe, daß ich das mehr als einmal arrangiert habe), mit dem geringsten Anzeichen von Höflichkeit zur Kenntnis. Wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, sehe ich einen harten Zug um ihre Lippen, als würde sie mir das Eindringen der einen ihrer Welten in die ändern verübeln.
    Dann, um neun Uhr, in ihrem Zimmer oben über der Treppe des verwahrlosten Wohnhauses, ist sie eine andere Frau: liederlich und wollüstig. Es gibt nichts, das sie sich nicht herausnehmen würde. Nicht einmal in meiner Phantasie hätte ich etwas Derartiges für möglich gehalten. Noch nie habe ich ein derart verzehrendes Entzücken erlebt. Ich kann es kaum erwarten, bis ich zu ihr gehen kann. In letzter Zeit habe ich meine Wohnung immer schon frühzeitig verlassen, so daß ich gezwungen bin, ziellos durch die Straßen zu wandern. Ich bin süchtig nach ihrem Körper. Ich denke an nichts anderes als an ihr Geschlecht, ihre Brüste, ihren Mund. Wenn ich von ihr getrennt bin, lebe ich nur für unsere nächste Zusammenkunft.
    Ich bin ein Schwein, das auf der Suche nach dem quälenden Bissen, der mir gerade entgeht, immer tiefer im Schmutz wühlt. Ich bin ein Enthusiast der Erniedrigung. Ich habe eine Nase dafür, genauso wie ein Connaisseur eine Nase für einen guten Wein hat. Ich bin ein Sklave meines Appetits. Ich sinke tiefer und schneller ein. Ich trinke. Die letzten beiden Male betrat ich, um die Zeit totzuschlagen, einen Weinladen in der Nähe von Stacias Haus und trank mit den Arbeitern und kleinen Dieben, die dort herumlungerten, Absinth. Der bittere, strenge Geschmack dieses Getränks hat etwas Tödliches, das gut zu meiner Stimmung paßt.
    Stacia mag es nicht, wenn ich trinke. Sie wich, ärgerlich und verwirrt, vor mir zurück, als ich sie dicht an mich drückte und zu ihr sagte: »Wir sind verdammt.«
    Ich fürchte, sie hat Pläne mit mir. Es war nicht ihre Absicht, mich auf ihre Stufe hinunterzuziehen, sondern sich selbst auf meine zu erheben (eine Stufe, deren potentielle Pracht sie völlig falsch einschätzt). Innerhalb der vier Wände dieses Zimmers, umgeben vom tiefsten Elend von Paris, bemüht sich Stacia, eine Art groteske Karikatur bourgeoiser Häuslichkeit herzustellen. Zuerst, ganz vorsichtig, entwickelt sie ein System wahrhaft schrecklicher Kosenamen (»Hündchen«) und hüllt sich in verletztes Schweigen, wenn ich mich nicht auf gleiche Art revanchiere (»Lämmerchen«). Als sie es bei mir das erste Mal probierte, glaubte ich, nicht richtig gehört zu haben, und dann brach ich in schallendes Gelächter aus. Jetzt nehme ich diese Kosenamen als einen weiteren Beweis meiner Entwürdigung hin. Wie trefflich, daß der Satyr nach der Durchdringung seines Opfers bis zum Kern, während seine heidnische Verzückung verebbt und versiegt, hört, wie seine gesättigte Nymphe mit heiserer Stimme seinen Namen flüstert: »O Böckchen!«
    Gregors Zölibat scheint um so wundersamer, je mehr ich meinen eigenen Fortschritt betrachte. Ich muß an einen Streich denken, den wir in St. Sebastian gespielt haben, als wir vierzehn oder fünfzehn waren. An den richtigen Namen des Mannes kann ich mich nicht mehr erinnern; wir nannten ihn Bruder Lubricius, was ziemlich gut zu ihm gepaßt haben muß. Er war allen Jungen an der Schule, nur sich selbst nicht, als Päderast bekannt. Nicht, daß wir irgendeinen moralischen Widerwillen verspürt hätten oder ihm gar sein Interesse an uns mißgönnt hätten – Jungen in diesem Alter sind außerordentlich tolerant in bezug auf exzentrische freundliche Erwachsene. Und außerdem war er mehr ein Gucker als ein Grapscher. Ich sehe ihn noch vor mir: frische, rote, engelhafte Wangen, Augen, die funkelnd über winzige Brillengläser hinwegspähen, was alle – die noch nie mit seinen stürmischen, streichelnden Händen Bekanntschaft gemacht hatten – fälschlicherweise als gute Laune auslegen konnten. »Was haben wir denn hier?« wiehert Bruder Lubricius

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