Das geheime Leben des László Graf Dracula
triumphierend, behält die Stellung bei – die Arme um Gregor geschlungen –, lacht über sein kindisches Bemühen, darüber, daß er in eine solche Keilerei verwickelt ist. Nur seine Finger bewegen sich unaufhörlich, rastlos, wie geistesabwesend. Bruder Lubricius sieht sich nach den anderen um, sieht prüfend in unsere Gesichter, um darin zu erkennen, ob er vielleicht vom rechten Weg abgekommen ist. Wir wechseln spöttische Blicke, die er nicht übersehen kann, obwohl er sie übersieht.
Gregor war es auch, der die Idee mit der Salami hatte. Das Stück, das ich aus der Küche stahl, war leicht gebogen und von einem bescheidenen Maß, was Würste betrifft, aber als Penis äußerst ungewöhnlich. Da alle Jungen Soutanen trugen, war es nicht schwer, eine Schnur um Gregors Hüfte zu schlingen und die Salami daran anzubinden, so daß sie auf angemessene Weise herunterbaumelte.
Bruder Lubricius, angezogen von dem Geräusch raufender Jungen, beteiligte sich schon bald an dem Spiel, das wir arrangiert hatten, und da der Ball häufig zu Gregor kam, seinem besonderen Liebling, war es unvermeidbar, daß die wandernde Hand des Bruders früher oder später mit diesem Glied eines Hengstes in Berührung kommen würde. Es gab keinen besonderen Augenblick des Verstehens, den wir bemerkt hätten, aber nach wenigen Minuten zog sich Bruder Lubricius still aus unserem Spiel zurück. Danach war er nie mehr so wie früher. Er hat nie mehr Witze oder Späße getrieben, und da wurde uns klar, daß in unserem Leben etwas fehlte, ein Geist, den wir als etwas Selbstverständliches hingenommen hatten und der nun verschwunden war.
Heute frage ich mich, womit Bruder Lubricius' Finger wohl in Berührung gekommen waren. Ich glaube nicht, daß ihm bewußt war, daß wir über ihn Bescheid wußten. Es war für ihn keine Entlarvung. Vielmehr war es, glaube ich, die Berührung mit dem schändlichen Inbegriff seines Verlangens – groß, hart und absolut zerstörerisch in seiner Vollstreckung.
Da ist etwas ganz in der Nähe. Ich kann es fühlen. Ich bin mir einer atemberaubenden Erfüllung bewußt, die sich noch im Schatten verbirgt. Wenn ich will, kann ich mich zurückziehen, aber dann werde ich nie erfahren, wer ich bin. Und all jene, die nicht die dunklen Winkel ihrer Seelen erforschen, werden absterben, so wie Bruder Lubricius. Ich muß noch weiter in mich vordringen, bis hinter die Muster von Bräuchen und Konventionen. Die Seele ist der dunkle Kontinent unserer Zeit. Ich begebe mich auf eine Entdeckungsreise und habe nichts zu verlieren.
II. JUNI 1866
Meine finanzielle Lage wird immer desolater. Der Schneider hat eine Kampagne systematischer Belästigungen in die Wege geleitet. Sein Mann lungert ständig im Hof herum oder lehnt am Geländer auf der anderen Straßenseite. Er wartet auf mich, und ich bin schon ganz geschickt darin, ihm auszuweichen, Tricks anzuwenden, wie etwa mich durch den Dienstboteneingang wegzuschleichen und gelegentlich sogar über Mauern zu klettern, was sehr erniedrigend ist.
Einmal, als ich ziellos und etwas betrunken durch die Gassen in der Nähe von Stacias Wohnung wanderte, hatte ich das Gefühl, daß mir jemand folgte. Auf den Pflastersteinen hinter mir hallten Schritte und blieben stehen, wenn ich stehenblieb. Ich habe nie erfahren, wer es war.
Als der Mann des Schneiders schließlich im Hôpital auftauchte und den Pförtner am Haupttor nach mir ausfragte, reichte es mir. Und so zog ich letzte Woche meinen schönen Anzug an und legte mit dem hochmütigsten edelsten Benehmen, dessen ich fähig war, einen beträchtlichen Teil der geschuldeten Summe auf den polierten Mahagonitresen des Schneiders. Er schien freundlich und dankbar, als hätte es nie irgendwelche Schwierigkeiten zwischen uns gegeben, und die impertinenten Auftritte seines Mannes wurden mit keiner Silbe erwähnt. Ich hoffe, er war wenigstens beeindruckt, denn nun habe ich nichts mehr, womit ich die Miete für diesen Monat bezahlen kann. Und ich befinde mich nur wegen eines Lasters, so trivial wie Eitelkeit, in dieser Klemme!
Als ich heute nach Hause kam, fand ich Lothar mit Madame Thébauld unten an der Treppe in ein Gespräch vertieft. Sie hörten sofort auf zu sprechen, als sie mich sahen, und Madame Thébauld bemühte sich, zu versichern, Herr von Pick sei gerade eben erst gekommen und habe gefragt, wann ich zurückerwartet würde. Lothars Anblick erinnerte mich daran, daß ich so von Stacia besessen gewesen war, daß ich völlig vergessen
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