Das geheime Leben des László Graf Dracula
Befriedigung. Das war erfinderisch. Aber das ganze Manöver war derart abwegig, daß meine wahren Gedanken von absolut scheinheiligen Gefühlen getrübt waren. Die meiste Zeit habe ich sogar tatsächlich geglaubt, ich hätte die Torte nur in Auftrag gegeben, um Elisabeth damit eine Freude zu machen! Obwohl ich ganz genau wußte, daß es ihr viel lieber wäre, wenn ihr Geburtstag unbemerkt vorüberginge.
Seit der vorletzten Nacht folgt sie mir wie ein verliebtes Schulmädchen von einem Zimmer ins andere, mit scheuen Blicken und unter allen möglichen Vorwänden meine Gesellschaft suchend. Ihre sanfte, bewundernde Liebe sollte mich wegen des Ehebruchs, den ich begehen will, beschämen. Es ist wahr, daß ich mich schuldig fühle, aber diesmal ist diese Schuld ein armseliges Gefühl, keine Seelenqual. Ich frage mich, ob ich in den langen Jahren meiner Gefangenschaft, in denen ich keinen Anlaß hatte, diese Eigenschaft zu trainieren, auf irgendwie subtile Art einen moralischen Schaden davongetragen habe.
Der Plan, für den ich mich entschieden habe, ist sehr einfach und hat die besten Chancen auf Erfolg. Ich werde ganz einfach den Laden betreten, um mich bei Estelle für die von ihr kreierte Torte zu bedanken. Sollte ich sie allein antreffen, schön und gut. Ich werde sie in ein Gespräch verwickeln, und nach und nach, ganz unauffällig, wird sich das Gespräch den Dingen zuwenden –
welchen Dingen? Ich werde improvisieren müssen. Sollte aber andererseits ihre Mutter auch dort sein, habe ich einen völlig unverfänglichen Grund für mein Kommen, und sie werden sich zweifellos freuen, daß sich der Graf die Mühe gemacht hat, ihnen seinen Dank persönlich auszusprechen. Ich habe dafür den Dienstag ausgesucht. Dann hat der Stadtrat seine Sitzung, so daß Bürgermeister Theissen schon einmal nicht in seinem Laden sein kann.
NACHMITTAG
Gott hat sich eingemischt. Oder jedenfalls Gregor, sein Instrument.
Gregor hat sich mit Leib und Seele der Kirche verschrieben. Er wird immer unnachsichtiger, auch wenn diese Strenge sich hauptsächlich gegen ihn selbst richtet anstatt gegen die moralische Verworfenheit anderer Menschen. Sein Haar ist jetzt stahlgrau, und er trägt es kurz – gestutzt, könnte man sagen, denn er macht sich nicht die Mühe, seine äußere Erscheinung zu verschönern. Er besitzt zwei schwarze Soutanen, die beide abgetragen und an einigen Stellen sogar fadenscheinig sind. Ich habe ihm gesagt, daß er besser auf seine Kleidung achten muß, um nicht die Achtung seiner Herde zu verlieren, und gelegentlich habe ich ihm auch schon vorsichtig angeboten, die Kosten für eine neue Ausstattung zu übernehmen, aber davon will er nichts wissen. Er hat keine Verwendung für materielle Dinge. Mit seiner Energie und seinen Fähigkeiten und mit Onkel Kálmáns Einfluß hätte er längst Bischof sein können, und die Tatsache, daß er noch immer als Priester in einer abgelegenen Kirchengemeinde lebt, ist ein Beweis seines Fanatismus. Und doch hat er trotz allem nicht den menschlichen Kontakt verloren, obwohl ich fürchte, daß dies eines Tages geschehen wird, denn manchmal habe ich das Gefühl, daß er nur die ewige Seele vor Augen hat und durch den sterblichen Mann oder die sterbliche Frau glatt hindurchsieht.
Aus diesem Grund war ich schon auf das Schlimmste gefaßt – Höllenfeuer und Verdammnis –, als er auf Estelle zu sprechen kam. Wir saßen beim Tee, unserem nachmittäglichen Ritual im englischen Stil.
»Ich wollte dich etwas über die Tochter des Bürgermeisters fragen«, begann Gregor mit ungewohnter Zurückhaltung, und mir sank das Herz vor irrationaler Angst. Sollte das eine Warnung sein, die er mir gegenüber aussprach? überlegte ich. Ahnte er meine Absichten und beeilte sich nun, mich von diesem sündigen Weg abzubringen? Hatte er aus all den einzelnen Teilen, die in seinen Beichtstuhl getragen wurden, ein intelligentes Puzzle zusammengesetzt? Das waren die verrückten Gedanken eines Mannes, der zu lange innerhalb der Grenzen einer tödlichen Moral zugebracht hat und jetzt zu neuem Leben erwacht.
»Unsere Tortenkünstlerin?« fragte Elisabeth.
»Estelle«, sagte ich wegen der Freude, die es mir machte, ihren Namen laut auszusprechen.
»Wie wir wissen, ist sie ein außerordentlich begabtes Mädchen«, fuhr Gregor fort. »Ihr Vater glaubt, daß sie zu ihrem Weiterkommen mehr braucht, als unsere kleine Stadt ihr bieten kann. Etwas mit einer erweiterten Sicht, etwas Höheres.«
»Sie meinen eine
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