Das geheime Leben des László Graf Dracula
nicht wahr?« schlug er vor.
»Ja«, nickte ich, bemüht, einen begeisterten Ton anzuschlagen, aber ich muß zugeben, daß die Sache anfing, mir Sorgen zu machen.
Draußen war es noch ein bißchen hell, aber das Zimmer, in das mich Oberst Rado jetzt führte, war dunkel. Sobald ich eingetreten war, schloß der Butler die Tür, ich hatte jedoch das Gefühl, daß er sich nicht zurückzog, sondern hinter mir ins Zimmer trat. In dem Raum herrschte Stille, aber ich spürte, daß um mich herum andere Menschen waren. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu räuspern oder mit den Füßen zu scharren – zu zeigen, daß ich da war, daß ich existierte, daß ich nicht von großer Ehrfurcht erfüllt war –, aber in Wahrheit war ich eingeschüchtert. Die Stille dauerte mehrere Minuten lang – vielleicht auch länger, vielleicht auch weniger lang. Dann glaubte ich weit entfernt leises Gemurmel zu hören, als würden zwei alte Männer miteinander reden. Dann herrschte wieder Stille. War das eine Prüfung? Und wenn ja, was wollte man damit beweisen? Ich war schon drauf und dran, lauthals loszulachen, als plötzlich ein Streichholz aufflammte und ich zu Tode erschrocken zusammenfuhr. Die Flamme beleuchtete Rados Gesicht von unten und verlieh seinen Zügen etwas Diabolisches. Als er das Streichholz an den Docht einer Kerze hielt, richteten sich meine Augen instinktiv auf die Flamme.
»Die in diesem Raum Anwesenden sind bereit, ihr Leben für ein großes und unabhängiges Ungarn einzusetzen«, begann Oberst Rado mit schnarrender Stimme. »Sie wollen die Nation von der Einmischung Österreichs befreien. Sie wollen den Einfluß von Eindringlingen wie Walachen, Sachsen und Ruthenen auf das nationale Leben ersticken, um Ungarn den Magyaren zurückzugeben.
Und sie wollen auf den Thron des Sankt Stephan einen Mann setzen, der es wert ist, König zu sein. Sind Sie bereit, László Dracula, für diese große Sache mitzukämpfen?«
»Ich bin es.«
»Schwören Sie es?«
»Ich schwöre es.«
»Schwören Sie, niemals die Identität irgendeines Mitglieds der Ungarischen Liga preiszugeben?«
»Ja, das schwöre ich.«
»Bei Ihrem Leben?«
»Ja«, erwiderte ich, obwohl mir dies ziemlich melodramatisch vorkam.
»Sind Sie bereit, für unsere Sache Blut zu vergießen?« fragte er.
»Wenn nötig«, erwiderte ich nach kurzem Überlegen.
»Gut.«
In dem schummrigen Licht um mich herum wurde applaudiert, als Rado aufstand, um mir die Hand zu schütteln.
»Willkommen«, sagte er schlicht. Als er sich über den Tisch, auf dem die Kerze stand, zu mir herüberbeugte, lag sein Gesicht fast völlig im Dunkeln, das Licht erfaßte nur sein Kinn, die Nase und die untere Hälfte seiner Augenhöhlen und ließ ihn unwirklich aussehen. Dieser Eindruck verging im selben Augenblick, in dem der Diener die Gaslampen anzündete.
Ich sah, daß ich mich in einer Kammer befand, die früher einmal die Privatkapelle der Familie gewesen sein mußte.
Anstelle des Altars stand ein schwerer Eichentisch mit einem thronartigen Sessel dahinter, in dem Oberst Rado saß. Auf jeder Seite des Mittelgangs, in dem ich vor ihm gestanden war, standen Bänke, und jetzt sah ich, daß auf ihnen Adlige in der traditionellen Magyarentracht saßen, sowie Männer in Militäruniform und Priester in schwarzen Kutten. Alle drängten sie nun nach vorn, um mir die Hand zu schütteln und mir zu gratulieren. Es kam mir alles wie in einem Traum vor, als die Männer, die ich schon seit vielen Jahren kannte, aus der bedrohlichen Dunkelheit auftauchten, um mir auf die Schulter zu klopfen.
Einer war ein Anatomieprofessor, der an der medizinischen Fakultät Vorlesungen gehalten hatte; ein anderer ein Jugendfreund meines Vaters; ein dritter der Bruder eines Freundes von mir an der Universität. Der Anblick der bekannten Gesichter führte mir deutlich vor Augen, wie sehr ich die Verbindung zu meiner Vergangenheit abgeschnitten und mich dem gesellschaftlichen Kontakt mit meinesgleichen entzogen hatte, indem ich nur mit den Verwaltern und Dienern auf unserem Anwesen verkehrt hatte.
Zuerst konnte ich gar nicht glauben, daß ich weiter hinten unter den Männern Gregors Gesicht gesehen hatte, aber schließlich entdeckte ich ihn wieder. Er strahlte übers ganze Gesicht, als er zu mir kam, um mir die Hand zu schütteln.
»Jetzt wirst du verstehen, warum ich nichts sagen konnte«, meinte er entschuldigend.
»Dann wollen wir nie wieder Geheimnisse voreinander haben«, sagte ich, obwohl ich eigentlich
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