Das geheime Prinzip der Liebe
da war. Ich beeilte mich. Und kaum waren meine Skizzen vollendet, übermalte ich sie mit etwas anderem. Oft mit einem Himmel. Sie fand wahrscheinlich, dass ich seltsam viel Himmel malte. Aber das war alles, was ich durch mein Fenster sehen konnte, deshalb war es nicht weiter verwunderlich.
Diese grausame Komödie dauerte einhundertvierundsiebzig Tage. Einhundertvierundsiebzig Tage Gefängnis. Einhundertvierundsiebzig minus sechzehn. Einmal hat sie mich nämlich mitten in der Nacht geweckt. Sie habe eine Überraschung für mich. Das Auto wartete vor der Haustür. Kaum eine Stunde später hielten wir vor einer Mühle. Ich dachte, es sei ein Zwischenstopp, aber es war unser Ziel. Sie wollte, dass ich ein bisschen an die Luft komme. Es war kein großer Luxus, aber es würde ›ihrem Kind‹ gut tun. Es gab eine Küche, ein Wohnzimmer über die gesamte Länge des Gebäudes, eine Waschecke und ein Schlafzimmer. Die Räume im Keller waren unbenutzbar, voller Staub und Mahlgerätschaften.
Ich wunderte mich, dass sie diese Mühle gewählt hatte, die weder bequem noch sauber war. Aber ich konnte hinaus. Ich lebte auf. Ich verbrachte den ganzen Tag im Freien. Es war Ende März, die Natur erwachte. Ich hatte meinen Skizzenblock und Zeichenkohle mitgenommen. Endlich fand ich neue Inspiration. Ich war die Einzige, die diesen Ort genoss. Und Alto, der mir überallhin folgte.
Madame M. hat die Mühle nie verlassen. Den ganzen Tag lang saß sie zusammengesunken auf einem Stuhl am
Fenster und machte ihr Kreuzworträtsel. Sie war sehr angespannt und zuckte bei jedem Geräusch zusammen. Ich sah genau, dass sie Angst hatte, jemand würde uns entdecken. Oder ich würde versuchen zu fliehen.
Ich wäre gern weggelaufen. Aber ich war im siebten Monat und hatte schon die ersten Wehen gespürt. Es wäre zu riskant gewesen, dem Fluss zu folgen, bis ich einen Menschen traf, der mir helfen würde. Außerdem kannte ich sie inzwischen nur allzu gut. Wenn wir hier waren, gab es im Umkreis von mindestens zehn Kilometern keine anderen Menschen.
Nie waren wir uns so fern gewesen wie dort. Obwohl wir im selben Bett geschlafen haben; es gab nur eins. Sophie hatte einen Strohsack in der Küche. Madame M. legte sich hin, nachdem ich eingeschlafen war, und stand im Morgengrauen vor mir auf. Wir haben uns nie berührt. Jede lag auf ihrer Seite unserer Maginotlinie.
Ich konnte nicht gut schlafen. Immer hatte ich dieses seltsame Bild vor Augen. Zwei schwangere Frauen in einem Bett. Unsere dicken Bäuche wölben die Decken. Ein Kamel schläft im Zimmer. ›Das Kamel hat zwei Höcker und das Dromedar einen‹, erklärte ich meinem Bauch. Ich musste auf alle seine Fragen antworten.
Sie schlief auch nicht gut, sie war aufgeregt und sprach im Schlaf. Ich hätte sie am liebsten mit ihrem Bauch erstickt, ihr all die verlogenen Tücher abgerissen und in den Mund gestopft, bis sie tot wäre. Morgens war ihr Platz ganz nass. Sie schwitzte. Man konnte die Laken nicht waschen, und der säuerliche Geruch erfüllte das ganze Zimmer. Ich hätte ihr beinahe gesagt, dass ihr Gestank nicht gut für das Kind ist. Mit Sophie habe ich mich darüber lustig gemacht.
In der nächsten Nacht wurde ich von der Berührung
eines Beins an meinem geweckt. Das Kamel hatte sich in ein Dromedar verwandelt. Ich lüftete vorsichtig die Decke, ganz erstaunt, dass sie ihren Bauch abgelegt hatte. Aber sie hatte gar nichts abgelegt. Sophie hatte ihren Platz neben mir eingenommen. Am nächsten Tag erklärte mir Madame M., wenn sie im Schlaf redete, würde mich das am Schlafen hindern und das sei nicht gut für ihr Kind.
Wir blieben sechzehn Tage dort, dann kehrten wir nach Paris zurück. Zwei Monate später kam ich nieder.
Sie betrat mein Zimmer und streckte mir eine Puppe entgegen. ›Sieh, was ich gekauft habe!‹
›Sie ist schön.‹
›Mehr als das. Drück sie auf den Knopf an ihrem Nacken. ‹
›Mama! Mama!‹
Bei diesen Worten der Puppe packte mich eine heftige Wehe ... «
Jede schwangere Frau wäre berührt von der Lektüre dieser Briefe. Damit versuchte ich mich zu beruhigen.
Ich hatte wieder etwas Abstand zu den Briefen gewonnen. Ganz sicher war es ein Roman, irgendetwas Autobiographisches. Aber weit und breit fand sich kein Hinweis auf den Autor.
Auch mir fehlte meine Mutter sehr, auch ich hätte gern gewusst, was sie empfunden hatte, als ich in ihrem Bauch war, auch ich fühlte mich allein.
Ich hatte oft festgestellt, dass eine Geburt im Zusammenhang mit einem Tod
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