Das geheime Prinzip der Liebe
die kleinen Champagnerbläschen spürte. Ihre Freundinnen, die schon Mütter waren, fragten sie immer danach, und sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Ich verstand nicht, welches Gefühl sie meinten. Vielleicht war meine Schwangerschaft nicht normal. Mir schoss sogar der Gedanke durch den Kopf, dass ich gar nicht schwanger war. Womöglich war ich wieder ein kleines Mädchen geworden, dessen Regel ausgeblieben war, weil ich etwas so Widernatürliches vorhatte. Wenn ich mir das vorstellte, war ich erleichtert. Das hieß, dass diese Farce aufhören und ich meine Freiheit wiederfinden würde. Nach Hause zurückkehren. Meine Eltern wiedersehen. Dich wiedersehen. Aber dann, eines Abends, unter meiner Daunendecke, habe ich sie gespürt. Da, ganz unten in meinem Bauch. Viel weiter unten, als ich es erwartet hatte. Erst einmal. Dann wieder. Und noch einmal. Aber es war nicht wie Champagnerbläschen. Es war wie das Zucken winziger Fische. Ich konnte nicht finden, dass es sich wie Champagnerbläschen anfühlte, denn ich hatte nie Champagner getrunken. Aber die Fischchen im See, die bei Regen auftauchten, die hatte ich gesehen.
Im Laufe der Wochen wurde aus dem Zucken ein Zappeln. Zuerst ganz schwach. Dann immer deutlicher. Und schließlich verformte sich mein Bauch. Ein Fuß. Eine Hand. Ein Ellbogen. Mein Kind bewegte sich in einem zu kleinen Raum. Wie ich, dachte ich.
Die einzigen Ereignisse, auf die ich ein Recht hatte, waren die meines Bauches. Wie hätte ich nicht darauf lauern, sie bis ins Letzte beobachten sollen? Sie lieb gewinnen.
Bevor mein Bauch dick wurde, war ich noch ehrlich. Dann verlor ich die Kontrolle. Und je länger ich auf die Fragen von Madame M. antwortete, desto weiter entfernte
ich mich von meinem Versprechen. Aber vielleicht hätte ich mich in jedem Fall davon entfernt. Vielleicht war die Idee, für eine andere Frau ein Kind austragen zu wollen, von Anfang an nur eine Illusion gewesen. Ich weiß es nicht. Andere haben es schließlich gemacht.
Nachts konnte ich nicht schlafen. Ich hatte heftiges Sodbrennen. Um mich nicht zu langweilen, habe ich Gedächtnisübungen gemacht. Ich bin durch das Haus gegangen und musste mich an den Platz aller Gegenstände in einem Zimmer erinnern, ehe ich das nächste betreten durfte. Ich dachte, das sei eine gute Übung zum Kopieren. Aber vor allem konnte ich so mit dem Kind sprechen, ohne ihm von uns zu erzählen. Ich lehrte es die Welt der Dinge. ›Siehst du, das ist ein Buch. Das ist eine Vase. Das, ich weiß nicht, was das ist, wir nennen es das blaue Ding , das ist hässlich. Das ist ein Schränkchen. Das ist Munition. Das ist eine kleine Pistole.‹
Ich beschrieb die Gesichtszüge meiner Eltern, vor allem meiner Mutter. Ich konnte nicht anders, ich musste ihm sagen: ›Siehst du, das sind deine Großeltern.‹ Sie waren die einzigen Menschen, von denen ich ihm erzählt habe.
Ich habe mich gefragt, wie sein Gesicht aussehen würde. Seine Augen. Seine Haare. Sein Körper. Ich habe gehofft, es würde genauso aussehen wie ich. Es würde mit meinem Kopf aus mir herauskommen, damit sich Madame M. nicht entschließen könnte, es mir wegzunehmen, denn wenn die Leute sie beide sehen würden, würden sie sagen: ›Das ist Ihre Freundin Annie, die wieder ein Baby geworden ist!‹
Ich habe ihr Vornamen für das Kind vorgeschlagen, sie war einverstanden. Das war ihr nicht wichtig. Sie wollte ein Kind, keinen Vornamen. Der Ton ihrer Antwort gefiel mir
nicht. Ich hielt mich zurück, um ihr nicht zu erwidern, dass sie nicht ›ein Kind‹ wollte. Sondern mein Kind.
Ich hätte mein Versprechen gern zurückgenommen, aber ich wusste, dass es unmöglich war, sie würde niemals einwilligen. Ich hatte keine Hemmungen mehr, sie um etwas zu bitten, denn jetzt lagen wir gleichauf. So oft habe ich mir gewünscht, dass sie meine ständigen Forderungen nicht mehr erträgt und mich vor die Tür setzt. Ich wollte fliehen. Selbst wenn ich auf der Straße entbinden müsste. Aber was dann? Die Schande. Eine ledige Mutter. Von allen verstoßen. Ich hatte solche Geschichten zu oft gehört, um nicht Bescheid zu wissen. Wenn meine Eltern jünger gewesen wären, hätten sie sagen können, es sei ihres. Ich wäre nicht die Erste gewesen, die die Schwester ihres Kindes geworden wäre. ›Bestimmt freut sich Annie, dass sie kein Einzelkind mehr ist‹, hätten die Leute gesagt. ›Nachdem sie sich so lange beklagt hat.‹
Aber das war unmöglich, niemand würde es glauben. Und das größte
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