Das geheime Prinzip der Liebe
ihn zwingen, mir ins Gesicht zu sagen, was er
wusste, und dann würden wir sehen, ob seine Geschichte noch trug.
Ungefähr zwei Wochen später habe ich noch deutlicher gespürt, dass etwas nicht stimmt. Diesmal stand das Auto von ihrem Mann vor dem Haus. Meistens war er schon unterwegs in die Redaktion, wenn ich kam.
Das Dorf N. war also nicht weit von Paris entfernt, sonst hätte Monsieur M. – mein Vater? – nicht täglich zwischen dem Haus und seiner Redaktion pendeln können. Ich musste den Kreis zunächst so groß wie möglich ziehen.
Der Hausdiener Jacques war in L’Escalier geblieben ... Einmal in der Woche kam er hinauf nach Paris, um mir Nachricht von meinen Eltern zu bringen, aber ich sah ihn nie und hörte nur seine Stimme.
Wenn ich dieser Redewendung »hinauf« traute, konnte ich den Norden ausschließen. Mich also auf den Süden, den Osten und den Westen von Paris konzentrieren.
Vielleicht war Jacques, der eifrige Jacques, immer noch da und kümmerte sich um L’Escalier, wartete nach all den Jahren noch auf die Rückkehr seiner Herrschaften. Er würde vielleicht wissen, wo ich Louis finden könnte. Er würde mir womöglich alle Erklärungen geben, die mir fehlten.
Ich kaufte mir eine Straßenkarte, auf die ich mit dem Kompass einen Halbkreis zeichnete. Zwei Stunden von Paris nach Süden. Mein Forschungsfeld blieb noch sehr groß.
Abend für Abend quälte ich meine Augen im Licht der
Nachttischlampe. Ich würde Monate brauchen, alle Dörfer mit N. aufzusuchen, die in Frage kamen. Mutlos starrte ich auf meine Lampe. In der Nacht, als Nicolas zum ersten Mal zu mir gekommen war, hatte ich die Glühbirne ausgetauscht, eine schwächere, »romantischere« eingesetzt. Ich hätte besser daran getan, die gute alte weiße Birne drinzulassen, die alles hässlich macht. Dann hätten wir nicht miteinander geschlafen, und ich könnte jetzt wenigstens diese verdammte Straßenkarte lesen, die im schummrigen Licht vor meinen Augen verschwamm. Ich schaute mit schlechtem Gewissen auf meinen Bauch, wie jedes Mal, wenn mir ein böser Gedanke durch den Kopf schoss.
Entschuldige, Kind, natürlich bin ich glücklich, dass es dich gibt.
Plötzlich schrillte die Klingel an der Wohnungstür.
Nicolas?
»Wir sind’s! Mach auf, Camille, wir haben ganz viel zu essen dabei ... und zu trinken!«
Es waren meine Freundinnen. Das sah ihnen ähnlich, ganz unverhofft hier aufzutauchen. Ich hatte ihnen noch nichts gesagt, war nicht stark genug gewesen, um ihnen entgegenzutreten. Jetzt aber, da meine Entscheidung getroffen war, da Nicolas gesagt hatte, was er zu sagen hatte, würde ich es ihnen auch verkünden können. Es war gut, dass sie gekommen waren. Wir würden darüber sprechen. Sie würden mir sicher Vorwürfe machen, dass ich mich ganz allein auf dieses Abenteuer einließ. Aber sie würden Nicolas nicht verschonen, und es würde mir gut tun zu hören, wie sie ihn beschimpften.
Sie freuten sich halbtot. Sie würden für mich da sein. Sie würden mir helfen! Hatte ich mir schon einen Namen ausgedacht? Drei Paar Hände spazierten begeistert über
meinen Bauch. Meine Freundinnen sind das Beste, was mir im Leben passiert ist. Man muss sie richtig auswählen, und manche gehen unterwegs verloren. Aber die, die bleiben, sind die wunderbarsten Mädels der Welt.
Wir waren zwei, die keinen Champagner tranken, ich aus bekanntem Grund, Charlotte, weil er ihr einfach nicht schmeckte. Nein, wirklich, alles, was sie an der Champagne mochte, waren die Holzkirchen.
»Die was?«
»Die Holzkirchen. Das sind Kirchen, die ganz und gar aus Holz sind, so entzückend und einladend wie Berghütten. Die gibt es nur in der Champagne, und auch da höchstens noch zehn.«
Charlotte wusste immer Sachen, die uns umwarfen.
... mich überkam ein gewisses Wohlbehagen, erfreut fand ich den einzigartigen Holzgeruch der Kirche wieder ...
Herrgott, das war’s! Ich hatte das Indiz, das mir fehlte.
Das Dorf lag in der Champagne. Weniger als zwei Autostunden von Paris entfernt, im Südosten. Alles passte perfekt.
Charlotte hat nie erfahren, was sie für mich getan hat. Und während sie nach Herzenslust über Nicolas-diesen-Dreckskerl herzogen, sah ich mich schon in der Holzkirche von Annie und Louis stehen. Jetzt konnte er mir nicht mehr entkommen.
Gleich am nächsten Morgen bat ich Mélanie, unsere Praktikantin, die Namen aller Dörfer herauszusuchen, in denen es solche Holzkirchen gab.
Als sie mir die Liste brachte, stand kein einziger Name
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