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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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gefasst hatte, keinen Anschlag auf die Deutschen gegeben hatte. Sonst hätte man mit ihren Freunden, die heil davongekommen waren, kurzen Prozess gemacht und sie als Vergeltungsmaßnahme früh um fünf Uhr erschossen. Ich würde ihr auch nicht sagen, dass das, was ihren Freunden erspart geblieben war, uns durchaus zustoßen konnte.
    »Louis?«
    »Ja.«
    »Ich bin nicht zufällig in deine Post gekommen.«
    Anscheinend war noch nicht Schluss mit den Enthüllungen.
    »Ich wusste, dass du da arbeitest. Deine Mutter hat es mir erzählt, als ich zu Hause war, um dich zu suchen. Ich wollte auch meinen Vater sehen, wenigstens von weitem.
Es ist verrückt! Im Moment sehe ich allen, die ich liebe, nur von weitem beim Leben zu. Bei dir sollte es nicht so sein. Mein Vater kam mir kleiner vor. Ich hoffe, das war die Entfernung, nicht das Alter. Ich bin nicht zu ihm gegangen, weil mein bisheriges Leben nicht gerade schön war. Aber jetzt ist es anders, stimmt’s? Louis?«
    »Ja.«
    »Wir besuchen ihn zusammen, ja?«
    »Natürlich.«
    »Und du hilfst mir, Louise zurückzubekommen.«
    »Sobald wir hier raus sind.«
    »Es soll nicht irgendwie geschehen. Ich will es ordentlich machen, für Louise. Und für dich auch.«
    »Was willst du machen?«
    »Ich … Weißt du noch, wie wir ›Kurz – Lang‹ gespielt haben?«
    Und dann hörte ich sie ganz leise, damit die Wachen nicht aufmerksam wurden, den Code aufnehmen, den wir als Kinder benutzt hatten, um von niemandem verstanden zu werden.
    kurz kurz kurz kurz (h) kurz (e) kurz kurz (i) kurz lang kurz (r) kurz lang (a) lang (t)
    Bitteschön. Der schmucke Soldat. Jetzt kamen wir dazu. Ich hatte keine Lust, das Thema anzusprechen, aber ich konnte es auch nicht endlos vermeiden. Immerhin musste ich ihr Zartgefühl anerkennen, es mir mitzuteilen.

    »Und warum hat er dir nicht geholfen, deine Tochter zurückzuholen? «
    »Wer?«
    »Dein Mann.«
    »Aber ich habe keinen Mann.«
    »Du bist nicht verheiratet?«
    »Wenn ich es dir doch sage.«
    Ich war sprachlos. Ich war so fest vom Gegenteil überzeugt gewesen. Und der Ring?
    »Das ist doch Mamans Ring. Ich habe dir vorhin erzählt, dass Papa ihn mir vor die Füße geworfen hat, als wir das Paket bekamen. Ich meine … dein Paket. Ich habe ihn behalten. «
    Ich war zutiefst verlegen und unendlich glücklich. »Also, du … du hast niemanden?«
    Ich weiß noch genau, wie lange sie schwieg. Ich dachte schon, sie wolle mir mit »Kurz – Lang« antworten, erinnere sich aber nicht mehr an den Code. Es war etwas anderes. Ihre Stimme klang heiser.
    »Ich habe jemanden geliebt, aber es ist vorbei.«
    Dann hörte ich sie schluchzen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte es nicht fassen. Es war vorbei mit dem schmucken Soldaten.
    »Weine nicht, Annie.«
    »Stimmt es nicht, Louis? Im Leben des anderen gibt es eine Vergangenheit, die zählt, und eine, die nicht zählt.«
    »Natürlich.«
    Das war wohl nicht die Antwort, die sie erwartete. Sie weinte weiter, ich dachte, wegen ihres schmucken Soldaten. Aber es war wegen meines Schweigens.
    Sie stammelte: »Also … du willst nicht?«
    Erst in diesem Augenblick begriff ich, was ich nicht mehr
begreifen konnte, so sehr hatte ich es erhofft, und ich stammelte so schüchtern, als stünde schon der Priester zwischen uns:
    kurz lang lang lang kurz lang
    Muss ich Ihnen meine Antwort übersetzen?
    JA

In diesem Jahr drehte sich meine Welt nur um mich und Annie. Um uns herum geschah eine Menge, was mir völlig gleichgültig war. In Deutschland übernahm Hitler die Macht. Brecht und Einstein flohen, während Dachau errichtet wurde.
    Naive Überheblichkeit der Kindheit, die sich vor der Geschichte in Sicherheit wähnt ...
    Dieses Jahr war das Jahr 1933, das wusste ich.
    Wenn Louis damals zwölf war, war er heute vierundfünfzig.

    »Louis« war sein richtiger Vorname, »Annie« stimmte auch, das spürte ich. Dieser Mann log nicht, er maskierte nur einen Teil der Wirklichkeit, wenn sie wehtun konnte.
    Ich suchte also einen Louis, vierundfünfzig Jahre alt. Das war ein guter Anfang, aber weit würde ich damit nicht kommen.
    Die einzige Lösung schien mir, das Dorf N. zu finden. Dort würde es bestimmt jemanden geben, der mir den Namen des Arztes oder der Kurzwarenhändlerin aus jener Zeit nannte, und wenn mir niemand Auskunft geben konnte, bliebe immer noch das Rathaus. Ich würde beim Standesamt nachfragen, und sobald ich den Namen hätte, würde es ein Kinderspiel sein, Louis zu finden. Dann würde ich

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