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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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die langsamen Zeiger aufzuregen. Um drei Minuten vor zwei zog ich meinen Mantel an und eilte hinaus. Annie war nicht da. Das war nicht schlimm, ich war zu früh. Aber auch um halb drei war sie nicht da. Ich wartete bis drei Uhr, lief ungeduldig auf dem Bürgersteig hin und her, wusste nicht mehr, was ich mir als Erklärung ausdenken sollte.
    Ich war außer mir. Was war nun wieder passiert? Wollte
sie mich denn mein ganzes Leben lang versetzen? Um zwanzig nach drei klopfte ich an die Tür ihres Zimmers. Niemand da. Ich drückte die Klinke herunter, die Tür öffnete sich. Sie war nicht abgeschlossen.
    Ich wollte dort auf sie warten, aber es kam mir vor, als würde mich die Skulptur auf dem Tisch, »das unsichtbare Objekt«, anschauen. Zwischen den Händen der Frau, die gestern noch die Leere umfangen hatten, steckte heute ein Blatt Papier. Ich ging näher heran und entdeckte darauf eine Zeichnung.
    Eine Zeichnung, die ich zwar nie gesehen hatte, die mir aber vollkommen vertraut war.
    Sie zeigte einen kleinen Jungen, der an einem Teich mit einer Puppe spielt. Neben ihm ein Steinhaufen.
    Und in den Teich hatte Annie einen Satz geschrieben, vier Worte, die ich ihr am liebsten nie gesagt hätte.

    HIER ENDLICH RUHE ICH.

    Das war das Epitaph, das Elisabeth Vigée-Lebrun am Ende ihres traurigen Daseins auf ihren Grabstein hatte meißeln lassen. Ich hatte Annie vom Leben dieser Malerin erzählt.
    Es traf mich wie ein Blitzschlag. Ich verstand gar nichts. Was war geschehen zwischen heute Morgen, wo sie uns eine strahlende Zukunft ausmalte, und diesem Brief, dieser Zeichnung, die mich das Schlimmste ahnen ließ?
    In meinem Kopf rasten die Gedanken, aber ich konnte mich nicht rühren. Plötzlich spürte ich etwas unter meinen Fingern, eine seltsame Unebenheit.
    Ich drehte das Blatt um: Es waren ausgeschnittene und aufgeklebte Buchstaben.

    HEIMLICHKEITEN SIND NICHT SCHÖN WER SAGT IHREM LIEBSTEN DASS ER MIT EINER HURE SCHLÄFT
    Mir blieb das Herz stehen. Annie eine Prostituierte?
    Sie musste den anonymen Brief am Morgen bekommen haben, anders konnte ich es mir nicht erklären.
    Ich rannte, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, sprang auf mein Fahrrad und trat mit aller Kraft in die Pedale.
    Sie kannte also mein Geheimnis mit den Porzellanpuppen, sie musste mich einmal dabei beobachtet haben, wie ich sie ertränkte.
    Ich bremste nicht, ich fuhr immer schneller. Ich schrie, damit die Leute den Bürgersteig verließen und mir Platz machten.
    Das war unmöglich, sie würde es nicht tun.
    Bei jeder Umdrehung der Pedale fiel mir ein weiteres Detail ein und erhielt im Schein dieser unheimlichen Offenbarung plötzlich einen neuen Sinn.
    Die vermeintlich vergessenen Schlüssel.
    Ich trat in die Pedale.
    Ihre Hast, sich zu waschen, sobald sie zurückgekommen war. Hatte sie einen letzten Kunden bedient? Um die Gier der Puffmutter zu befriedigen, der sie sich nach all diesen Jahren sicher verpflichtet fühlte? Oder die Gier eines Stammkunden, der so sehr gedrängt hatte, dass sie seinem Wunsch lieber nachgegeben hatte, als ihm alles zu erklären? Das würde schneller gehen. Sicher ein eifersüchtiger Kunde, ein verliebter Kunde. Sie hatte gewiss Dutzende davon. Vielleicht hatte er diesen Brief geschrieben. Um ihr Angst zu machen, um ihr wehzutun. Um sich dafür
zu rächen, dass sie wegen eines anderen alles stehen und liegen ließ.
    Ich trat in die Pedale. Ich musste sie einholen.
    Und diese Skulptur, die sie mitgebracht hatte, so völlig unpassend. Sie war gewiss das Einzige, woran ihr etwas lag, in jenem Zimmer, wo sie ihre Vergangenheit zurückgelassen hatte, eine Vergangenheit, die nicht mehr zählte. Denn das Zimmer, in das sie mit mir gegangen war, war nicht ihr Zimmer. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
    Ich trat in die Pedale.
    Wie sie überall gesucht hatte, um einen Zichorienkaffee zu kochen, alle Schränke öffnete, ehe sie die Tassen fand, ihr Zögern, das ich der Aufregung zugeschrieben hatte.
    Und wie sie mir nicht geantwortet hatte, als ich sie fragte, was für Pflanzen in den Töpfen wuchsen. Sie wusste es nicht. Einfach, weil sie dort nicht zu Hause war.
    Ich trat in die Pedale. Die Dörfer zogen nicht schnell genug vorbei.
    Wahrscheinlich hatte sie eine Freundin gebeten, ihr das Zimmer zu borgen, damit sie mit mir irgendwohin konnte.
    Ich trat in die Pedale.
    Die hässliche Unterwäsche. Voller Abscheu dachte ich daran, dass ich im Geruch einer anderen geschwelgt hatte.
    Ich trat in die

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