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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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sei es natürlich nicht selbstverständlich, dass ein Mädchen einem Mann von einem anderen erzähle, wenn ich verstünde, was sie meine … Es sei keine besonders originelle Geschichte. In
den Monaten, die sie bei ihr verbracht habe, habe sich Annie bereit erklärt, Kriegspatin zu werden, und wie es oft passiert, habe sie sich schließlich in ihren Schützling verliebt, einen anständigen Jungen, nach dem, was Annie ihr aus seinen Briefen vorgelesen habe. Er heiße Henri. Auf jeden Fall ein schmucker Kerl, sehr schmuck, nach dem Foto zu urteilen, das Annie ihr gezeigt habe. Sie sei jetzt bestimmt schon verheiratet, so sei Annie eben, ein bisschen verrückt, immer gleich Feuer und Flamme, aber ich wisse das wohl, schließlich sei ich ihr Freund ... ihr Kindheitsfreund, sei das richtig?
    »Ja, das ist richtig«, hörte ich mich mit trockenem Mund antworten. »Danke, Madame, entschuldigen Sie, dass ich Sie gestört habe.«
    Und dann sah ich das Baby an, ein letztes Mal. »Leb wohl, Louise.«
    Als ich dem kleinen Wesen Adieu sagte, war es ein Adieu für Annie.
    Das war nicht mehr meine Geschichte, auch ich musste jetzt vergessen, und wenn Annie beschlossen hatte, dieser Frau ihr Kind zu überlassen, konnte ich mich dem nicht widersetzen. Zumal ich spürte, dass Louise glücklich sein würde. Madame M. würde sie mit der ganzen Inbrunst einer unrechtmäßigen Liebe lieben, einer Liebe, die man von einem Tag auf den anderen verlieren kann, weil das Gesetz des Blutes sie nicht ewig macht.
    Ich hatte mit der Unverfrorenheit eines Retters bei Madame M. geklingelt und verließ sie mit der Hast eines Abgewiesenen. Annie in einen anderen verliebt, warum war ich nicht früher darauf gekommen? Ein Soldat, natürlich, die echten Männer standen an der Front. Es war vorbei. Ich kannte Annie gut genug, um zu wissen: Wenn ein Mann
erst mal ihr Herz gewonnen hätte, würde sie nur noch für ihn leben.
    Ich war vor der Bildergalerie stehen geblieben, von der mir der Postbeamte erzählt hatte. Die Bilder im Schaufenster erinnerten mich an die von Annie. Als ich aufschaute, um nach dem Namen zu suchen, begriff ich, was sich wirklich in dieser Galerie verbarg. Die Hausnummer ließ keinen Zweifel. Wie es das Gesetz verlangte, war sie größer als die normalen Schilder. Es war ein Bordell.
    Jetzt verstand ich das anzügliche Lächeln des Postlers, und als ich mich an sein Gesicht erinnerte, musste ich unwillkürlich ebenfalls grinsen. Auch mein Spiegelbild im Schaufenster wurde heller, freundlicher, schmucker, wie Madame M. gesagt hatte, vielleicht nicht so schmuck wie der Soldat auf dem Foto, aber durchaus angenehm. Wenn mich die Malerei einer anderen Frau an Annie erinnerte, würde mich eines Tages auch eine andere Seele, ein anderes Lächeln, ein anderer Körper an sie erinnern, würde ich vielleicht wieder lieben können. Lächeln, weiter lächeln, und eine andere Frau würde kommen.
    Mir fiel ein, dass am Postschalter ein Anschlag geklebt hatte.
    Mitarbeiter gesucht
    Nachfragen im ersten Büro links

    Warum nicht? Irgendwie musste man sein Leben doch anfangen.

    Ich schwor mir weiterhin, Annie zu vergessen. Bis sie erneut in meinem Leben auftauchte und in einer Sekunde die ganze Mühe zunichte machte, der ich die letzten drei Jahre gewidmet hatte.

    Ich hatte sie in den hintersten Winkel meines Kopfes verbannt. Wenn mich der Gedanke an sie packte – hatte sie eine Familie mit ihrem schmucken Soldaten? Dachte sie manchmal an das kleine Mädchen, das sie verlassen hatte? Dachte sie manchmal an mich? –, wies ich ihn weit von mir. Ich mochte meine Arbeit. Ich mochte mein Leben. Ich mochte die Zeit nicht, in der wir lebten, aber ich tat mein Möglichstes. Keine Heldentaten des Widerstands, aber das, was ich konnte. In der Post hatte ich einen guten Platz, um hier und da etwas zu manipulieren. Ich arbeitete vormittags in der Sortierung, nachmittags am Schalter. Sagen wir, ich erleichterte den Deutschen ihre Zensurarbeit nicht gerade.
    Es war gegen drei Uhr, ich kam mit Moustique von der Pause. Er hieß Maurice, aber alle nannten ihn Moustique, weil er es nie lange an seinem Platz aushielt. Das Erste, was ich von ihr wiedersah, war ihre Hand, die auf einem Brief lag. Ich achtete zunächst nicht darauf, denn ich konnte den Blick nicht von dem Umschlag losreißen und starrte auf die allzu vertraute Handschrift. Ich weiß nicht, wie viele Sekunden vergingen, ehe ich aufschaute.
    Ich wollte die Szene nicht, die sich nun abspielen würde. Ich

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