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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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hingelegt, sie saßen. Auf der Bettkante. Er strich ihr mit der Hand das Haar aus dem Gesicht. Sie sprachen leise. Sie blickten einander in die Augen. Annie hatte mir den Rücken zugewandt, ich sah nur Pauls Gesicht. Strahlend, so strahlend . Und dann sah ich es nicht mehr. Sie küssten sich. Innig, so innig. Annie strich mit den Fingerspitzen über Pauls Schultern, seinen Hals, er ließ es geschehen. Nachdem sie sich eine Weile liebkost hatten, traten sie zu Annies neuen Bildern, die sich auf dem Boden stapelten, und zogen von unten eine Leinwand heraus. Schönes Versteck! Noch bevor sie es auf die Staffelei
stellte, wusste ich, was ich sehen würde: ein Porträt von Paul.
    Sie arbeitete lange. Paul blickte nach vorn, unbeweglich, ganz ruhig. Dann legte sie den Pinsel weg und kniete sich vor ihn. So blieben sie eine ganze Weile und sprachen mit leiser Stimme. Paul zog sie an sich und umarmte sie. Sie entkleideten einander unter Liebkosungen. Er nahm sie in die Arme, wie man eine Braut trägt, und setzte sie auf einen hohen Hocker. Er legte den Mund auf ihr Geschlecht. Schließlich kehrten sie auf das Bett zurück und schmiegten sich aneinander. Sie setzte sich zwischen seine Beine, er streichelte ihre Brüste, ihren Po, küsste sie auf die Stirn. Sie befriedigte ihn mit der Hand und brachte ihn auf den Laken zum Orgasmus.
    So sah also das Kind aus, das ich so sehr herbeisehnte.
    Danach lagen sie nebeneinander, die Gesichter einander zugewandt. Paul half ihr, sich wieder anzukleiden. Während sie sich kämmte, streichelte er ihren Nacken. Dann gingen sie Hand in Hand aus dem Zimmer.
    Ich musste mich erbrechen, ich würgte heraus, was ich soeben gesehen hatte. In meinem Kopf umschlangen sich ihre Körper weiter, suchten sich die Hände, bissen sich die Münder aneinander fest. Sie schenkten sich Lust, aber mein Mann drang nicht in sie ein. Weil sie sich liebten, machten sie keine Liebe.
    Was hatte ich denn erwartet? Annie war so schön. Aber auch sonst hätte ihre Dreistigkeit sie begehrenswert gemacht. Es gab kein Schamgefühl, keinen Widerstand in ihrem biegsamen Körper, sie gab sich so leicht hin, die Hände wussten so gut, was sie zu tun hatten, sie war erotisch, erregend auch im Liegen, auch wenn sie gar nichts tat. Ich erbrach mich, weil ich wusste, dass ich nie dagegen ankommen
würde, selbst wenn ich das Gleiche tat wie sie. Ich erbrach die Gewissheit, dass mein Mann diese Frau liebte.
    Die Körper trügen nicht.

    Am nächsten Tag durchzog eine weiße Strähne mein Haar .
    Paul rief mich, als ich gerade diese abscheuliche Entdeckung machte. In meiner Verlegenheit band ich mir rasch ein Tuch um den Kopf, um sie zu verstecken. Ich hatte Angst, er würde erraten, dass ich alles wusste. Aber er bemerkte nicht einmal das Tuch, obwohl es so auffällig altmodisch war.
    Das war am 16. Juli.
    Die Tage vergingen, erstarrt in der Gewissheit . Annies Bilder verrieten ihren Verrat, sie wurden immer heftiger, leidenschaftlicher. Ich erinnere mich an ein Kornblumenfeld vor schwarzem Hintergrund, ein Landschaftsporträt von erregter Sinnlichkeit. Als hätten alle Blütenköpfe etwas von Pauls Gesicht. Es war unerträglich. Ein Samstag folgte auf den nächsten, und ich konnte nichts sagen, weder dem einen noch der anderen, hatte ich sie doch so nachdrücklich darum gebeten.
    Und wenn ich mit Paul gesprochen hätte? Hätte er sich für mich entschieden? Oder hätte er mir seine Liebe für sie ins Gesicht geschleudert? Ich hätte gern gesagt: »Kehren wir nach Paris zurück, in unser Haus!«, aber ich wagte es nicht, aus Angst, er würde mir antworten: »Wir nehmen Annie mit.« Ich hätte es nicht ertragen, dass er seine Maske fallen lässt. Und sollte er sich selbst noch nicht eingestanden haben, dass er sie liebte, so war es nicht nötig, dass ich es ihm offenbarte.
    Ich versuchte nicht, sie zu verstehen, nur sie zu entlarven, wie immer, wenn man hinter ein Geheimnis kommt. Ich
versteckte mich immer wieder hinter den schweren Fenstervorhängen. Ich verfolgte jede Regung meines Mannes, erkannte Gesten, die mir vertraut waren, und entdeckte zahlreiche andere. Immer wieder musste ich ihnen zusehen, wenn sie sich liebten, mich verrieten, als wüsste ich bereits, dass ich im Begriff war, eine niederträchtige Handlung zu begehen, die meines abgrundtiefen Hasses bedurfte. Später haben mich diese unerträglichen Bilder in jeder Minute der Schwäche, des Zögerns verfolgt und unerbittlich zum Schlimmsten getrieben.
    Einmal waren

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